Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
seiner Umwelt voll bewußt und verstand es zusätzlich glänzend, dies für seine Zwecke auszunützen:
»… Ich verlor seit kurzem all meine Heiterkeit, – warum, weiß ich nicht – gab alle gewohnten Übungen auf und, wahrhaftig, es steht so schlimm um meine Stimmung, daß dieser stattliche Bau, die Erde, mir vorkommt, als wär’s ein wüstes Felsenriff. Dieser herrliche Baldachin, die Luft, seht Ihr, diese stolze Wölbung, dies majestätische Dach, ausgelegt mit goldenen Lichtern – ach, mir erscheint’s als der trübe Dunsthauch verpesteten Auswurfs. Was für ein Meisterwerk ist der Mensch! wie edel an Vernunft, wie unbegrenzt in seinen Fähigkeiten; in Gestalt und Bewegung, wie bedeutsam und wunderbar; im Handeln wie ein Engel, im Verstehen wie ein Gott; die Zierde der Welt, das Ziel der Schöpfung! Und doch, was gilt sie mir, diese Quintessenz von Staub? Ich habe keine Freude an den Menschen –…« [21]
Ob man die »Sei glücklich!«-Paradoxie sich selbst vorschreibt oder von anderen auferlegt bekommt, spielt keine besondere Rolle. Und ferner ist zu bemerken, daß sie nur eine der vielen möglichen Variationen des Grundthemas »Sei spontan!« ist. Wie wir schon sahen, eignet sich praktisch jedes Spontanverhalten als Rohstoff für diese paradoxen Arabesken: die Forderung nach spontanem Erinnern oder Vergessen; der Wunsch nach einem Geschenk und die Enttäuschung, wenn man es »nur« deswegen erhält, weil man diesen Wunsch äußerte; der Versuch, eine Erektion oder einen Orgasmus durch Willensanstrengung herbeizuführen, und der genau das unmöglich macht, worauf er abzielt; einzuschlafen, weil man unbedingt einschlafen will; oder die Unmöglichkeit, zu lieben, wo Liebe als Pflichtübung gefordert wird.
Wer mich liebt,
mit dem stimmt etwas
nicht
U nd da wir gerade bei der Liebe sind, gleich noch ein wichtiger Hinweis. Schon Dostojewski machte darauf aufmerksam, daß das Bibelwort »Liebe deinen Nächsten wie dich selbst« wahrscheinlich andersrum zu verstehen ist – nämlich in dem Sinne, daß man den Nächsten nur dann lieben kann, wenn man sich selbst liebt.
Weniger elegant, dafür um so prägnanter, drückte Marx (Groucho, nicht Karl) dieselbe Idee Jahrzehnte später aus: »Es würde mir nicht im Traum einfallen, einem Klub beizutreten, der bereit wäre, jemanden wie mich als Mitglied aufzunehmen.« Wenn Sie sich die Mühe machen, die Tiefe dieses Witzes zu ergründen, sind Sie bereits gut auf das nun Folgende vorbereitet.
Geliebt zu werden ist auf jeden Fall mysteriös. Nachzufragen, um Klarheit zu schaffen, empfiehlt sich nicht. Bestenfalls kann es der andere Ihnen überhaupt nicht sagen; schlimmstenfalls stellt sich sein Grund als etwas heraus, was Sie selbst bisher nicht für Ihre charmanteste Eigenschaft hielten; zum Beispiel das Muttermal auf Ihrer linken Schulter. Schweigen ist da wieder einmal ganz eindeutig Gold.
Was wir daraus für unser Thema lernen können, zeichnet sich nun schon klarer ab. Nehmen Sie nicht einfach dankbar hin, was Ihnen das Leben durch Ihren (offensichtlich selbst liebenswerten) Partner bietet. Grübeln Sie. Fragen Sie sich, aber nicht ihn, warum. Denn er muß ja irgendeinen Hintergedanken haben. Und den enthüllt er Ihnen bestimmt nicht.
Menschliche Liebe ist nämlich eine Paradoxie, mit der sich schon wesentlich größere Geister als ich vergeblich herumgeschlagen haben und auf der einige der berühmtesten Schöpfungen der Weltliteratur beruhen. Nehmen wir den folgenden Satz aus einem Brief Rousseaus an Madame d’Houdetot: »Wenn Sie mein werden, so verliere ich, eben dadurch, daß ich Sie dann besitze, Sie, die ich ehre.« Zweimaliges Lesen hilft. Was Rousseau nämlich sagen zu wollen scheint, ist: Wer sich mir hingibt, ist deshalb nicht mehr geeignet, Inbegriff meiner Liebe zu sein. (Diese nur scheinbar exaltierte Auffassung ist gang und gäbe in einem wohlbekannten südlichen Lande, wo der von seiner Leidenschaft überzeugte Liebhaber die Angebetete bestürmt, ihm ihre Gunst zu schenken, und sie, sobald sie sich halt erobern läßt, verachtet – denn eine anständige Frau hätte »das« nie getan. Im selben Lande gilt auch der – offiziell natürlich nie zugegebene – Grundsatz: Alle Frauen sind Huren, außer meiner Mutter – die war eine Heilige. Klar – denn mit der Mutter ging »es« natürlich nicht.)
In seinem berühmten Werk Das Sein und das Nichts bezeichnet Jean-Paul Sartre die Liebe als einen vergeblichen
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