Anleitung zum Unglücklichsein (German Edition)
gesetzt, denn wer sucht, der findet. Dem Reinen ist angeblich alles rein; der Pessimist dagegen entdeckt überall den Pferdefuß, die Achillesferse oder was es dafür auf dem Gebiet der Podiatrie noch andere Metaphern gibt.
Wem dies Schwierigkeiten bereitet, der nehme sich nur die einschlägige Fachliteratur vor. Die wird ihm die Augen schon öffnen. Da findet er heraus, daß der brave Feuerwehrmann in Wirklichkeit ein verhinderter Pyromane ist; der heldenhafte Soldat lebt seine tief unbewußten selbstmörderischen Triebe beziehungsweise seine mörderischen Instinkte aus; der Polizist gibt sich mit den Verbrechen anderer Menschen ab, um nicht selbst zum Verbrecher zu werden; der berühmte Detektiv hat eine nur mühsam überdeckte paranoide Grundeinstellung; jeder Chirurg ist ein verkappter Sadist; der Gynäkologe ein Voyeur; der Psychiater will Gott spielen. Voilà – so einfach ist’s, die Fäulnis der Welt zu entlarven.
Aber auch der Helfer, dem diese Art des Entdeckens der »wahren« Beweggründe nicht liegt, kann Hilfe zu einer den Laien besonders verblüffenden Form der Hölle machen. Wir brauchen uns dazu nur eine Zweierbeziehung vorzustellen, die sich hauptsächlich auf der Hilfe des einen für den anderen Partner aufbaut. Es liegt in der Natur einer solchen Beziehung, daß sie nur zu einem von zwei möglichen Resultaten führen kann, und beide sind fatal: Entweder bleibt die Hilfe erfolglos, oder sie ist erfolgreich (eine dritte Möglichkeit gibt es wieder einmal nicht). Im ersteren Falle wird auch der eingefleischteste Helfer endlich genug haben und sich tief enttäuscht und verbittert aus der Beziehung zurückziehen. Ist der Helfer aber erfolgreich und bedarf der Geholfene daher der Hilfe nicht mehr, dann bricht die Beziehung gerade deswegen auseinander. Ihr Sinn und Zweck hat sich damit ja erschöpft.
Als literarische Beispiele fallen einem dazu die vielen Romane und Libretti besonders des 19. Jahrhunderts vom jungen Edelmann ein, der sich die Rettung und Seelenwäsche der dämonischen (in Wahrheit aber unschuldigen und liebenswerten) Prostituierten zum Lebensziel gemacht hat. Praktische Beispiele liefern uns die fast immer intelligenten, verantwortungsvollen, aufopfernden Frauen, mit ihrer fatalen Neigung, Trinker, Spieler oder Kriminelle durch die Macht ihrer Liebe in Tugendbolde zu verwandeln, und die bis zum bitteren Ende auf mehr desselben Verhaltens des Mannes mit mehr derselben Liebe und Hilfsbereitschaft reagieren. In bezug auf ihr Unglücklichkeitspotential sind diese Beziehungen fast perfekt, da die Partner in einer Weise zueinander passen und sich aufeinander einstellen, wie es in positiveren Beziehungen kaum möglich zu sein scheint. (Hierin irrte Rabbi Jochanan, als er sagte: »Ein passendes Ehepaar unter Menschen zusammenzubringen ist schwerer als das Wunder Mosi im Roten Meer.«) Um sich aufopfern zu können, braucht eine solche Frau einen problematischen und hinfälligen Menschen; im Leben eines einigermaßen selbständig funktionierenden Mannes sieht sie für ihre Hilfe – und daher für sich selbst – weder genügend Raum noch Notwendigkeit. Er andererseits braucht einen unverzagten Helfer, um weiterhin Schiffbruch erleiden zu können. Eine Partnerin, die dem Grundsatz huldigt, daß eine Hand die andere wäscht, dürfte aus dieser Beziehung sehr bald aussteigen. Das Rezept also: Man suche sich den Partner, der durch sein So- Sein das eigene So-sein-Wollen ermöglicht und ratifiziert, doch hüte man sich auch hier vor dem Ankommen am Ziel.
In der Kommunikationstheorie heißt dieses Beziehungsmuster Kollusion . Gemeint ist damit ein subtiles Arrangement, ein Quid pro quo , eine Vereinbarung auf der Beziehungsebene (unter Umständen ganz unbewußt), wodurch man sich vom anderen als die Person bestätigen und ratifizieren läßt, als die man sich selbst sieht. Der Uneingeweihte könnte sich hier mit Recht fragen, weshalb man dazu eines Partners bedarf. Die Antwort ist einfach: Stellen Sie sich eine Mutter ohne Kind, einen Arzt ohne Kranken, einen Staatschef ohne Staat vor. Das wären nur Schemen, provisorische Menschen sozusagen. Erst durch den Partner, der die notwendige Rolle uns gegenüber spielt, werden wir »wirklich «; ohne ihn sind wir auf unsere Träume angewiesen, und die sind bekanntlich Schäume. Warum aber soll irgend jemand bereit sein, diese bestimmte Rolle für uns zu spielen? Dafür gibt es zwei Beweggründe:
1. Die Rolle, die er spielen muß , um mich
Weitere Kostenlose Bücher