Anleitung zur Selbstorganisation
nicht zu erläutern, dass die Interessen dieser beiden Investorengruppen radikal verschieden sind.
Zum Beispiel zeigt sich das an der sogenannten Turnover-Rate, also dem Prozentsatz an Aktien, die pro Jahr umgeschichtet werden. In den 1950er und 1960er Jahren betrug diese bei den Funds knapp 20 Prozent pro Jahr, hingegen ist sie seit Beginn der 1990er Jahre auf über 90 Prozent gestiegen.
In Wahrheit sind also die Shareholder, obwohl sie formal Eigentümer sind, heute nicht mehr Aktionäre im Sinne des unternehmerischen Eigentümers. Sie kaufen Aktien nicht als Anleger, um sie wegen des Unternehmens und seiner Leistungsfähigkeit zu halten. An den Unternehmen selbst ist diese Art von Aktionär im Grunde nicht interessiert, sondern an der schnellen Performance für die Funds-Manager und die Zertifikat-Besitzer. Das ist durchaus legitim und erfüllt eine wirtschaftliche Funktion. Daher kritisiere ich das nicht. Hingegen stellen sich entscheidende Fragen, wenn es um die Corporate Governance geht, das heißt, um die Einflussrechte, die solchen Investoren auf die Führung und Führungsorgane des Unternehmens gegeben werden.
Zwar ist es das gute Recht eines Shareholders, mit seinen Anteilen zu machen, was er will. Bei lediglich kurzfristigen Finanzinteressen sollte er aber nicht an den
Master
Control
-Entscheidungen für das Unternehmen mitwirken dürfen. Er kann dann ganz ungeniert Aktien dort kaufen, wo er die beste Sofortrendite bekommt. Weil er aber, wie die Turnover-Rates beweisen, am unternehmerischen Geschick des Unternehmens nicht interessiert ist – sonst würde er ja seine Papiere auf lange Frist halten – soll er sich in die unternehmerischen Belange auch nicht einmischen dürfen. Das lässt sich einfach regeln: Wer an der Bestellung des Aufsichtsrates, und über diesen Weg an der Coporate Governance mitwirkt, soll eine Haltefrist beachten müssen. Wer das nicht tut, soll in der Hauptversammlung kein Stimmrecht haben.
Wird der Zweck des Unternehmens aus der Sicht der Lenkungsfunktion des Managements bestimmt, lassen sich elegant alle Widersprücheauflösen, die durch die Einseitigkeit der auf reine Finanzinteressen konzentrierten Corporate Governance aufgebrochen sind.
Beute-Objekt für Anspruchsgruppen
Zu diskutieren bleibt noch die Variante des Stakeholder-Ansatzes, die wiederbelebt wurde, weil nach und nach klar wurde, dass der Shareholder-Approach zu Problemen führt. Wie ich in der Einführung schon erwähnte, scheint den Reformern des Shareholder-Ansatzes nicht bekannt zu sein, dass es gerade das
Scheitern
des Stakeholder-Ansatzes war, der den Shareholder-Approach überhaupt entstehen ließ.
Der Stakeholder- oder Anspruchsgruppen-Ansatz macht jedoch das Unternehmen zum Objekt und letztlich zur Beute oder zur Geisel wechselnder Machtverhältnisse von Interessengruppen, seien es Kapitalinteressen, Gewerkschaftsinteressen, Regierungsinteressen oder das Interesse politischer Parteien. Das ist der Grund dafür, dass der Stakeholder-Approach, obwohl er in allen Varianten ausprobiert wurde, nie und nirgends funktioniert hat. Jede Spielart des Stakeholder-Approaches hat letztlich zu wirtschaftlichen Ruinen statt gesunden Unternehmen geführt. Der Stakeholder-Approach gibt dem Management zahllose Fluchtwege aus der Verantwortung für die wirtschaftliche Leistungsfähgkeit des Unternehmens.
Selbst wenn man für den Stakeholder-Ansatz eintreten wollte, würde das umso mehr dazu zwingen, den Customer-Value zum obersten Unternehmenszweck zu machen. Besteht nämlich das Unternehmen die Tests von Kundennutzen und Wettbewerbsfähigkeit, hat es eine gute Chance, legitime Forderungen von Anspruchsgruppen zu erfüllen. Versagt es hier hingegen, wird es keinen der Ansprüche erfüllen können, weil das Unternehmen nicht funktionieren wird. Zum Beispiel löst sich so auch das Problem der Forderung nach Arbeitsplatzsicherung. Nur ein gesundes Unternehmen im Sinne von Wettbewerbsfähigkeit und Kundennutzen kann Arbeitsplätze schaffen und halten. Wird aber der Arbeitsplatz als Zweck vor den Kundennutzen gesetzt, wird das Unternehmenüber kurz oder lang weder das eine noch das andere leisten können.
Hier tritt ein nächster Irrtum auf, nämlich die Meinung, der Kunde gehöre ebenfalls zu den Stakeholdern – einer von mehreren Denkfehlern der Anspruchsgruppentheorie. Der Kunde ist
niemals
ein Stakeholder. Im Sinne üblicher Definition sind Stakeholder solche Gruppen, die legitime Ansprüche an das Unternehmen stellen
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