Anmutig älter werden (German Edition)
hatte ich ein blödsinniges Gefühl der Freiheit. Kein Gepäck mehr, keine zwanzig Fenster zu putzen, kein Silber zu reinigen. Mit was für einem Ballast hatte ich gelebt – so schön er auch gewesen war. Es war wie eine tiefe Befreiung von allem Vergangenem, ich fühlte mich wieder jung und unglaublich unternehmungslustig.
Angekommen in der Schweiz, glücklich mit sechzig.
Eigentlich war es schon das dritte Mal in meinem Leben, dass ich alles zurückließ. Das erste Mal erlebte ich dies 1945 mit dreizehn Jahren. Mit nur einem Rucksack und ohne meine Eltern floh ich mit fremden Menschen von Komotau zu Fuß über das Erzgebirge nach Deutschland. Obwohl es für meine Eltern ein trauriger Anlass war, ihre Heimat und ihren Besitz loszulassen, war ich freudig erregt, von der Mutter erst mal befreit, allein ins Leben, in ein Abenteuer einzusteigen.
Nun, meine Mutter hat mich später wieder eingesammelt. Auch das habe ich überstanden.
Mit achtundzwanzig Jahren verließ ich ohne jede Habe die DDR, Berlin, meine Karriere, meine Ehe für ein Engagement in den Westen. Mein Sohn kam kurz darauf auch nach Celle, nachdem ich ein kleines Nest für ihn gebaut hatte. Damals fehlte natürlich das Gefühl der Glückseligkeit. Heilig wollte ich auch noch nicht werden. Das Loslassen war nicht freiwillig, sondern einfach ein Überlebenskampf und der Wunsch, die Karriere zu machen, die ich in der DDR schon erreicht hatte.
Doch zurück zu meiner dritten, freiwilligen Loslassübung, die ich mir mutig auferlegt hatte. In Salenstein kam ich mit den paar Lampen und Geschenken in meiner kleinen Wohnung an. Das Verflixte war, dass die ganze Welt nicht wollte, dass ich hier die Ruhe, die ich suchte, finden durfte. Menschen belagerten mich mit ihren Problemen. Wir saßen, sprachen, diskutierten, alles auf meinem Bett sitzend. Es war alles andere als einfach, plötzlich ein ganz anderes Leben zu führen.
Und wieder einmal meldeten sich meine Zähne, hinzu kamen Rückenschmerzen und alles tat mir weh. Meine spirituelle Freundin Silvia aus Zürich meinte, es würde nicht meinem Wesen entsprechen, mich so einzuschränken. Ich solle doch auf meinen Körper hören, meine Schmerzen würden mir dies schon die ganze Zeit vermitteln.
Ich wehrte mich, denn ich war ja gerade umgezogen und hatte keine Möbel mehr. Aber sie ließ nicht locker und kam mich besuchen, um mit mir gemeinsam eine Wohnung zu finden.
Damals wurde in dieser Gegend noch nicht so viel gebaut wie heute. Als ich zu ihrem Hotel fuhr, entdeckte ich an der Straße einen großen neuen Häuserblock. Ein Maler lackierte im oberen Stockwerk gerade die Fenster und ich rief ihm zu, ob ich mir einmal die Wohnung ansehen dürfte. »Natürlich, Frau Kubitschek«, rief er. Da war es doch wieder einmal gut, dass mich viele kennen. Ich sah mir die Dachwohnung an und war überrascht von ihrer Schönheit, Großzügigkeit und der weiten Sicht auf den Bodensee bis zu den Bregenzer Alpen – sehr entfernt natürlich – und der bezaubernde Blick auf die Reichenau mit ihrer Pappelallee.
Der nette Maler überließ mir über das Wochenende, es war Samstag, die Schlüssel. Halleluja – ich konnte meiner Freundin Silvia diese Wohnung zeigen. Sie war ebenso begeistert wie ich.
»Die nimmst du, wie teuer sie auch immer ist. Hier hat noch niemand gewohnt, du musst noch keine Altlasten abtragen. Um dich herum sind, neben dieser wundervollen Aussicht, nur Wiesen und Kirschbäume und viel Wald. Genau richtig.«
»Ja, aber …«
»Kein Aber. Du hast ein Bett, einen Tisch und ein paar Lampen, das reicht erst einmal. Du lässt die ›Cäcilienmesse‹ von Gounod durchs Haus erschallen, das zieht gute Geister an und du wirst sehen, das ist jetzt der richtige Schritt.«
Mein selbst auferlegtes mönchisches Dasein war nach drei Monaten beendet. Vielleicht hätte ich in Salenstein in der kleinen Wohnung für mein Heiligwerden mehr tun können.
Die Welt hatte mich wieder.
Loslassen
I ch denke, das Loslassen ist eine der wichtigsten Übungen im Leben. Ich zucke immer zusammen, wenn jemand sagt, meine Frau oder mein Mann. mein Haus, mein Kind, mein Besitz.
In der Endkonsequenz gehört uns nichts. Wir sind Gast auf der Erde. Dein Haus gehört dir eine beschränkte Zeit. Wenn du stirbst, gehört es jemand anderem. Der Mann, die Frau, gehört uns ebenfalls nicht. Er oder sie sind uns in Liebe und Vertrautheit eine gewisse Zeit an unsere Seite gegeben. Aber wenn ich ihn oder sie als meinen Besitz betrachte, kann
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