Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
wie ein Brandeisen in der Rinderzucht. Sie markieren stolz Ihren Besitz. Wer signiert ist, gehört zu Ihrer Herde.«
»Nein«, sagte Rupert, »völlig falsch, Frau Saalfrank, äh, Sommer. Lassen Sie sich Ihr Lehrgeld zurückgeben. Also, Ihre Studiengebühren. Sie haben doch studiert, oder?«
Sie schwieg und sah ihn nur an. Das machte seine Frau Beate auch manchmal, und er kannte es auch von Ann Kathrin. Das war ein typischer Frauentrick, einfach nur zu gucken und nichts zu sagen. Er hasste es, wenn sie so Druck auf ihn ausübten.
Aber nicht mit mir, dachte er, und erklärte freizügig: »Ich bin keineswegs busenfixiert.«
»Ach, nicht?!«
»Also, ich hätte viel lieber Pobacken signiert.«
Die Irritation in ihren Augen gefiel ihm. Damit hatte sie nicht gerechnet, und er setzte gleich noch eins drauf: »Ich steh auf Ärsche. Ja, verdammt, ist das so schlimm? Ich mag dralle Halbkugeln, am liebsten in Stringtangas. Oder auch ganz ohne. Aber die Damen haben mir leider nur ihre Brüste entgegengereckt, und da wollte ich dann kein Spielverderber sein.«
Sie nahm seine Worte auf, als hätte er etwas ganz Alltägliches gesagt. »Ihre größte Sehnsucht besteht also darin, auf Frauenhinterteile Ihren Namenszug zu setzen. Damit wären wir noch näher am Brandeisen der Rinderzucht.«
Sah er da ein Lächeln auf ihrem Gesicht?
Langsam begann das Gespräch, Rupert Freude zu machen. Er fühlte sich nicht mehr wie bei einer mündlichen Abiturprüfung, sondern so, als könnte er mit Elke Sommer quatschen wie mit seinen Kumpels im Mittelhaus an der Theke.
»Also, das mit dem Signieren hat sich mehr so ergeben. Eigentlich guck ich sie mir lieber an oder klatsche mal kurz drauf«. Er deutete so einen Poklatscher an. »Darf man ja heutzutage alles nicht mehr. Aber wir reden ja über Träume … Sehnsüchte.«
Es fiel Rupert schwer, das Wort
Sehnsüchte
auszusprechen. Es hörte sich aus einem Männermund halb schwul an, fand er.
»Also, ich stehe nicht auf alle Arten von Hintern. Nicht, dass Sie etwas Falsches von mir denken. Männerhintern mag ich nicht!« Er schüttelte sich vor Ekel. »Also, sie müssen formschön sein. Nicht ausladend fett und runzlig, womit ich jetzt nichts gegen Ihren Hintern gesagt haben will …«
Elke Sommer reagierte nicht gerade amüsiert. »Und Ihre größte Angst?«, fragte sie.
»Ich habe keine Angst.«
»Sie haben keine Ängste?«
»Nein.«
»Sie fürchten sich also nicht vor Viren, schweren Krankheiten, dem nächsten Weltkrieg …«
Rupert glaubte, dass sie ihm jetzt das Wort im Mund herumdrehen wollte, bis sich alles, was er sagte, blödsinnig anhörte. Deshalb polterte er: »Natürlich bin ich kein Fan von Schweinegrippe, Tsunamis oder Atomangriffen. Aber ich habe, verdammt nochmal, keine Angst! Der Feige stirbt tausend Tode. Der Mutige nur einen!«
Er schaute sie an, als könne man diesem Argument schlecht noch etwas entgegensetzen, und sah sich schon als Gewinner aus diesem Gespräch herausgehen, da fragte sie: »Wer hat das gesagt? Das ist doch ein Zitat, oder nicht? Von wem ist es? Wissen Sie es? Von Che Guevara? Von einem der Klitschko-Brüder?«
»Das ist von meinem Vater.«
Die Antwort gefiel ihr.
»Sie haben also praktisch vor nichts Angst?«
»Genau!«
Sie setzte sich gleich bequemer hin.
»Wenn Sie sich also zwischen Ihrer größten Sehnsucht und Ihrer größten Angst bewegen, dann sind auf der einen Seite Frauenhintern, und auf der anderen ist das große Nichts?«
So hatte Rupert es noch nicht gesehen. Aber es war ihm lieber, als hier seine geheimsten Ängste auszupacken. Er konnte sich gut vorstellen, wie seine Kollegen hinterher beim Bier darüber lachen würden. Nein, an Verschwiegenheit oder Datenschutz glaubte er sowieso nicht. Dazu hatte er zu viel Lebenserfahrung.
»Ich bin nicht irgendwie pervers oder so«, sagte Rupert, »sondern ein ganz normaler Mann.«
Sie nickte und befürchtete, damit könnte er sogar recht haben.
Es würde gleich dunkel werden. Er hatte in der Milchbar eine Erbsensuppe gegessen. Das erinnerte ihn an die beste Zeit seiner Kindheit. Freitags gab es bei Oma Erbsensuppe mit Maggi und Wurstbeilage. Sie schnitt die Würstchen vorher in kleine Rädchen und kochte sie mit. Opa fischte sie raus und tunkte sie in den scharfen Senf, den er am Tellerrand aufgeschichtet hatte.
Sie aßen stumm und friedlich. Im Kohleofen knisterte das Feuer, und alles war gut. Später, erst sehr viel später, wurde die Welt kompliziert und kalt und
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