Ann Kathrin Klaasen 08 - Ostfriesenfeuer
machte ihn hungrig und durstig. Er ging zur Würstchenbude. Ja, genau das brauchte er jetzt. Eine Bratwurst, schön braun und mit ganz viel Senf.
Ann Kathrin besuchte das Einfamilienhaus in Emden, in dem Ines Küppers sich angeblich umgebracht hatte. Es lag in Emden- Uphusen, nahe der Hauptverkehrsstraße von Emden nach Riepe, nicht weit vom Ems-Jade-Kanal.
In der Nähe des Ortskerns gab es eine Klappbrücke, die gerade hochgefahren war, weil ein Schiff mit Touristen durchfuhr.
Zur Emder Innenstadt war es nicht weit, und Ann Kathrin hätte ein Monatsgehalt darauf gewettet, dass die Kinder in Wolthusen zur Schule oder in den Kindergarten gingen.
Sie stellte sich zwei Kinder vor, vielleicht weil das Haus so großzügig gebaut war. Sie konnte in eine bilderbuchmäßig aufgeräumte Landhausküche schauen, mit einem riesigen Gewürzregal. Alles war lichtdurchflutet, und es gab einen üppigen Wintergarten.
Ann Kathrin registrierte die elektrischen Markisen, die Außenbeleuchtung mit Bewegungsmeldern und zwei Überwachungskameras. Erdfarbene, engobierte Dachziegel und eine Kupferdachrinne, die in einem Regenfass endete.
Der Vorgarten war gepflegt, aber wenig originell. Der kleine Spielplatz hinter dem Haus wirkte merkwürdig steril, als sei hier im Sandkasten nie Kindergeschrei ertönt und als sei auf der Schaukel niemals wild gewippt worden, sondern alles wäre nur für ein Fotoshooting aufgebaut.
Die Familie war nicht zu Hause. In der Autogarage parkte nur ein weißer Smart. Ann Kathrin tippte darauf, dass es der Wagen der Frau war.
Sie sah durchs Wohnzimmerfenster ins Haus. Auch hier mehr Filmkulisse als echtes Familienleben. Es kam Ann Kathrin so vor, als würde hier täglich ein neues Stück der beliebten Serie
Wir sind eine glückliche Familie
aufgeführt.
Sie fröstelte bei dem Gedanken.
Vielleicht, dachte sie, habe ich selbst immer diese Sehnsucht gehabt und bin deswegen in meiner Ehe mit Hero so grauenhaft gescheitert. Darum kommt mir das alles so verlogen vor, weil ich zu meinem eigenen Sohn kaum noch Kontakt habe. Innerlich habe ich Eike nie verziehen, dass er mit Hero gemeinsam ausgezogen ist.
Der Schmerz saß immer noch tief. Musste er bei Heros Geliebter mit einziehen? Der Gedanke ließ sie noch jetzt erschaudern. Das Gefühl, komplett austauschbar zu sein, gefiel ihr nicht. Es lähmte sie, machte jedes Engagement sinnlos, entwertete alles Tun.
Sie wehrte sich gegen dieses Zufrieren der Seele, und gleichzeitig erschrak sie darüber, welch heftige Emotionen dieses Haus in ihr auslöste.
War es Ines Küppers genauso gegangen?
Es gab Orte, die schlecht für Menschen waren. War dies so ein Ort? War alles hier so unerträglich, weil das wohlgeordnete Glück die Menschen an ihre eigenen Sehnsüchte erinnerte und ihnen ihr persönliches Scheitern umso heftiger vor Augen führte?
Am liebsten wäre sie in das Haus eingebrochen, um sich ein wenig in dem Zimmer aufzuhalten, in dem Ines Küppers sich umgebracht hatte. Sie erwischte sich sogar dabei, einen Blick auf die Terrassentür zu werfen, wo es einen Eingang für die Katze gab. Es wäre ein Leichtes für Ann Kathrin gewesen, von hier aus ins Haus zu kommen.
Das Gebäude war insgesamt gut gesichert, aber hier war die Schwachstelle. Jeder erfahrene Einbrecher würde diese Billigtür wählen, die zu allem Überfluss, von den Hecken geschützt, nicht von außen einsehbar war.
Sie riss sich zusammen und rief sich selbst streng zur Ordnung: Beherrsch dich! Die Warfsmanns sind nicht zu Hause. Ein kleiner Osterurlaub.
Sie würden wiederkommen, und dann konnte sie sie immer noch befragen und sich das Todeszimmer ansehen.
Jetzt hatte sie einen Termin mit Professor Willbrandt. Sie war fast froh darüber, denn dieses Haus stieß sie ab und zog sie zugleich an. Solche widersprüchlichen Gefühle erlebte sie oft an frischen Tatorten, wenn das Blut noch an den Möbeln klebte, es süßlich und metallen roch und die Kriminaltechniker der Spurensicherung noch bei der Arbeit waren. Aber hier lag das Verbrechen, sofern es überhaupt eines gegeben hatte, schon ein paar Monate zurück.
Wie konnte es sein, dass sie selbst trotzdem so sehr von dieser Eiseskälte ergriffen wurde, als sei das Verbrechen ganz frisch und würde noch in den Gardinen hängen wie der Qualm einer gerade erst gerauchten Zigarette.
Obwohl es Professor Willbrandt anzusehen war, wie sehr er diese Vorladung als Belästigung empfand, war er ihr unverzüglich nachgekommen. Er hielt die Schultern
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