Ann Pearlman
Hölle wirkte, und nagelten mich an die Wand, die ich anstreichen sollte.
Und dann fingen wir an zu reden. Er der schwarze Typ aus Detroit, der bei einem Arbeitsprogramm des Jugendgefängnisses mitmachte, und ich das weiße Strebermädchen aus gutbürgerlichem Haus. Aber das spielte überhaupt keine Rolle, von Anfang an nicht.
Glück. Seht ihr, was für ein Glück ich habe?
Manchmal kommt es mir allerdings auch vor, als hätte ich dazu auch noch alles Pech der Welt.
Für mich ist vieles unwichtig, was für andere sehr wichtig ist. Klamotten zum Beispiel sind mir ziemlich egal. Und beliebt zu sein. Oder haufenweise Geld zu haben. Ich finde es nicht mal sonderlich wichtig, wichtig zu sein. Oder dazuzugehören. In meiner Familie sind alle geschieden, meine Schwester ist bloß meine Halbschwester, und mir kamen andere Familien immer intakt und perfekt vor. Von der dritten Klasse an wusste ich, dass es keine Möglichkeit gab, mich anzupassen. Sky, meine viel zu angepasste Schwester, hat immer versucht, dazuzugehören, und irgendwie hat sie es auch geschafft. Aber ich war schon immer sonderbar und verrückt, und die ganzen blöden Regeln haben mich nur genervt. Ich habe über Töne und Musik nachgedacht. Ich war immer in meinem eigenen Kopf und hab meine eigenen Gedanken gedacht.
An diesem Tag hätte ich um ein Haar gar nicht bei Habitat for Humanity gearbeitet, weil ich viel lieber im Bett geblieben wäre und unter meiner warmen Decke davon geträumt hätte, wie ich genau den richtigen schwarzen Nagellack finde, der perfekt zu meinen neuerdings schwarz gefärbten Haaren passt. Aber dann dachte ich plötzlich, Scheiße, ich bin spät dran. Und sauste zum Bus.
Warum auch nicht.
Einfach so. Als wäre mitten im Winter plötzlich ein warmer Tag, so habe ich Aaron kennengelernt, vollkommen unerwartet.
»Du willst also eine Gothic-Tussi sein?«, fragte er.
»Die Haare hab ich mir erst letzte Woche so gemacht«, antwortete ich achselzuckend. »Nennt sich Black Pearl. Ich glaube, ich will auch noch ein paar Ohrringe mehr und ein Nasenpiercing. Was meinst du?«
Er legte den Kopf schräg. »Wenn du magst. Aber du bist auch schön ohne das ganze Zeug. Wahrscheinlich wärst du sogar mit deiner normalen Haarfarbe schön. Wie war die denn?«
»Rot.«
»Du hast rote Haare weggefärbt?«, fragte er stirnrunzelnd. »Rote Haare sind heiß.«
Vielleicht hatte ich die Nase voll davon, heiß zu sein. Ich erzählte ihm nicht, warum ich mir die Haare gefärbt hatte, jedenfalls damals noch nicht. Erst lange danach, als ich wieder meine Naturfarbe hatte.
Hier ist der Grund: Mein Dad und meine Mom haben sich scheiden lassen, weil er ständig Affären hatte. Er hat sie betrogen und gedemütigt.
Meine erste Erinnerung ist, wie Mom ihn anschrie, bis sie heiser wurde, weil er mit einer anderen Frau zusammen gewesen war. Eine Tür knallte zu. Sie weinte. Ich war allein in meinem Bettchen, umklammerte das Gitter und heulte, aber keiner kam. Als ich größer war, dachte ich immer, es läge irgendwie an Mom, dass er ihr nicht treu sein konnte. Vielleicht war sie nicht hübsch genug. Oder nicht gut genug im Bett. Oder nicht nett genug. Bei meinen nächsten Erinnerungen ist mein Dad schon weg, und als ich elf oder zwölf war, zog er mit einer anderen Frau zusammen, mit Joanne. Joanne war blond und blauäugig, dünn, immer geschminkt und wie aus dem Ei gepellt. Sie bemühte sich sehr um mich, kaufte mir Geschenke, nahm mich mit zu Konzerten und ging mit mir einkaufen. Ich mochte sie, und manchmal fühlte sie sich tatsächlich an wie Familie.
Dann ging ich eines Tages die Main Street hinunter, um mir ein paar von den winzigen Plastikschlangen zu kaufen, die ich auf meine Jeansjacke nähen wollte, als ich meinen Vater entdeckte. Hand in Hand mit einer Frau, die lange schwarze Haare hatte, fast bis zur Taille. Wunderschöne Haare, wie man sie bei vielen Asiatinnen sieht. Lang, glatt, schwer, die Essenz von Haaren. Haare, die immer gut aussehen, egal ob man sie zusammenbindet oder frei im Wind wehen lässt. Schwarz wie die Nacht und wie die Tasten auf einem Keyboard.
Unsere Blicke trafen sich, aber mein Vater nahm mich nicht wahr, sondern sah durch mich durch, als wäre ich gar nicht da.
Er ließ die Hand der Frau mit den schönen schwarzen Haaren nicht los.
Er blieb nicht stehen, um mich mit ihr bekanntzumachen.
Er lächelte mir nicht zu.
Er sagte nicht Hallo.
Er sah mich.
Aber er ignorierte mich.
Als würde ich nicht existieren.
Für
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