Ann Pearlman
steht, macht sie praktisch schon zu Stars. Echt erstaunlich, dass Tara und Aaron das durchgezogen haben. Wer hätte gedacht, dass sie überhaupt zusammenbleiben?«
Die Zärtlichkeit in seiner Stimme und die Begeisterung für den Erfolg meiner kleinen Schwester stören mich. »Sie war mal ganz schön verknallt in dich.«
»Sie hat mir geholfen, dich rumzukriegen.« Er wischt den Nebel vom Spiegel und kämmt sich die Haare.
»Mich rumzukriegen? Sie wollte nicht runter von deinem Schoß, wenn du da warst. Du warst so ziemlich das Einzige, was sie von ihrer Musikbesessenheit abgelenkt hat.«
Er klopft sich auf den Kopf, um die Haare am Wirbel zur Räson zu bringen. »Nur weil sie alles wollte, was ihre große Schwester hat. Außerdem hatte ich nicht den Mumm, dich zu fragen, ob du auf meinem Schoß sitzen magst. Aber ich hab immer gehofft, dass du es ihr irgendwann nachmachen würdest. Und schließlich hast du es ja auch getan.« Er lacht.
Troy hat vollkommen vergessen, was für ein schwieriger Teenager Tara war. Vielleicht hat er ihr aber auch einfach verziehen. Als er und ich gerade mit dem Jurastudium angefangen hatten, rief uns Mom eines Abends sehr spät an. In Ann Arbor war es drei Uhr morgens. »Ich weiß nicht, wo deine Schwester ist«, sagte sie ohne jede Begrüßung. »Ich bin total außer mir. Ich hab es hundertmal auf ihrem Handy versucht und jedes Mal nur die Voicemail erreicht, ich hab SMS ohne Ende geschrieben, und jetzt stehe ich neben der Haustür am Fenster und starre jedem Auto nach, das vorbeifährt, weil ich hoffe, dass es hält und sie rauskommt.«
»Wahrscheinlich ist sie auf irgendeiner Party und hängt mit ihren Freunden rum.«
»Und betrinkt sich«, vollendete Mom meinen Gedanken. »Das sage ich mir auch dauernd, aber ich muss ständig an all die grässlichen Sachen denken, die passieren könnten: Dass sie weggelaufen ist, dass sie einen Unfall hatte und im Krankenhaus liegt. Oder noch Schlimmeres. Dass sie tot ist. Oder total betrunken bei einer Verbindungsparty. Was, wenn die sie vergewaltigen?«
»Du kennst doch Tara. So ist sie nun mal.« Ich hörte, wie Mom tief einatmete.
»Sie tut, was sie will, ohne sich um sonst jemanden zu kümmern. Genau wie ihr Vater. Als wäre er zurückgekommen, um mich zu quälen.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Aber ein Teil von mir war immer ein bisschen selbstzufrieden, wenn Mom Tara oder ihren Vater kritisierte.
»Sie war noch nie so lange weg, ohne anzurufen, und sei es auch nur mit irgendeiner lahmen Ausrede.«
»Mom, sie feiert bestimmt nur.«
Aber Mom konnte nicht aufhören. »Ich sag ihr immer: ›Ruf mich an und sag mir, wo du bist, dass es dir gutgeht. Du hast doch ein Handy.‹ Aber nicht mal den Gefallen tut sie mir.«
Und dann kam Tara durch die Tür. »Mom, warum bist du denn noch auf?«, hörte ich sie fragen.
»Wo zum Teufel warst du?«
»Bei Freunden!«
»Ich hab mir Sorgen gemacht«, sagte Mom mit Grabesstimme, damit Tara auch bestimmt kapierte, wie schlimm es war.
»Bei mir ist alles paletti.« Ich konnte Taras Achselzucken vor mir sehen.
»Warum hast du nicht angerufen?«
»Ich hab kein Guthaben mehr auf meiner Karte, Mom. Warum hast du dich nicht um die Rechnung gekümmert?«
Taras Stimme klang forsch und klar, nicht laut oder wütend, es war ihr einfach nur egal, wie Mom sich fühlte. Genau das war der Punkt. Ihre Gleichgültigkeit.
»Ich bin müde, ich glaube, ich gehe ins Bett.« Taras Stimme wurde leiser, als sie sich von Mom entfernte.
»Tja, sie ist wieder zu Hause«, sagte Mom zu mir.
»Ich hab’s gehört.«
»Ich ruf dich morgen an.«
»Sie ist doch bloß ein Teenager«, sagte Troy in dieser Nacht, ans Kopfbrett gelehnt, vor sich den Lehrplan. »Sie arbeitet hart an ihrer Musik. Eine Streberin mit einem Hang zur Wildheit. Sie berappelt sich schon, du wirst sehen.«
Mit siebzehn war Tara schwanger. Außerdem waren da noch die Gefängnisstrafe, die ihr Freund wegen Drogendealens absitzen musste, ihre verrückten Träume vom Rap-Star-Ruhm und ihre Weigerung zu heiraten. Jetzt, viereinhalb Jahre später, gehören Aaron, Levy und Sissy zur Familie. Mom und Sissy sind gute Freundinnen geworden. Und dank der Ironie des Schicksals ist meine eigenwillige Schwester auf dem besten Weg, berühmt zu werden.
»Vielleicht reizt die Naht an deinem T-Shirt den Pickel. Das Pflaster müsste helfen.«
»Hey, willst du mit mir Doktorspiele machen?«, witzelt Troy, dessen Wirbel sich jetzt endlich brav
Weitere Kostenlose Bücher