SALVA (Sturmflut) (German Edition)
Prolog
In
der Küche klapperte meine Mutter mit dem Geschirr. An fast allen Sonntagen
wurde ich von diesem Geräusch geweckt. Ich setzte mich auf und ließ die Beine
vom Bettrand baumeln. Gestern, war mein siebter Geburtstag. Als ich sechs
wurde, war ich mir sicher, dass meine Beine in einem Jahr ganz bestimmt den
Boden erreichen würden und nun fehlte immer noch so viel. Meine Eltern waren schon
so groß und ich schien gar nicht mehr zu wachsen. Das war einfach nicht fair.
Ich war gerade im Begriff, vom Bett zu hüpfen, da kam mein Vater rein.
„Guten
Morgen mein Mohnblümchen.“ Er nannte mich immer so. Irgendwann habe ich in der
Schule mal ein Bild von einer Mohnblume gesehen und mich gewundert. Was hatte
ich mit dieser Blume gemeinsam? Sie ist rot, mit einem dürren Stiel und sieht
auch sonst nicht so hübsch aus. Ich hatte meinen Vater noch am selben Tag
gefragt, warum er mich immer Mohnblümchen nannte und nicht nach einer schöneren
Blume. Er sagte Die Schönheit der Mohnblume ist versteckt. Sie kann sogar
aus dem kleinsten bisschen Erde zwischen Betonplatten blühen oder untertauchen
zwischen anderen Blumen. Sie hat keinen eigenen Duft. Sie erlaubt jedem, seine
Fantasie dazu zu benutzten, wie sie duften könnte, wenn man sich eine pflücken
würde. Und nichts auf der Welt ist so schön und brillant, wie die eigene
Fantasie und der Gedanke daran, was alles möglich ist. Ich verstand es
nicht richtig. Es war einfach schön, dass mein Vater mich für etwas ganz
besonderes hielt. Er hatte wieder dieses gütige Lächeln auf dem Gesicht,
versteckt unter seinem Bart und ein paar Falten. Er setzte sich zu mir und
streichelte meinen Kopf. „Hast du gut geschlafen?“ Ich nickte nur und gähnte.
Für eine Weile sagte er nichts und starrte nur nachdenklich an die Wand, dann
drehte er sich wieder zu mir. „Du weißt, dass dein Papa viele Dinge tut, von
denen die anderen Leute nichts wissen dürfen.“ Ich nickte wieder. „Vieles läuft
nicht sehr gut auf der Welt und andere Menschen haben Angst, etwas zu sagen
oder dagegen zu tun.“
„Aber du nicht!“ Ich strahlte ihn an
aber er blickte nur traurig zu mir.
„Doch mein Blümchen, ich auch. Ich
fürchte mich sogar sehr.“ Ich verstand kein Wort und meine Augen wurden groß.
Mein Vater sollte Angst haben? Das konnte ich nicht glauben. „Es ist okay Angst
zu haben. Auch für Männer. Es gibt da draußen ja auch viel Furcht einflößendes.
Aber ich will, dass du eines nie vergisst: Angst haben ist in Ordnung, feige
sein nicht. Ich bin mir sicher, aus dir wird mal eine starke Persönlichkeit. Du
hast so große Augen, die immer alles neugierig anschauen und alles wissen
wollen. Wenn du mal groß bist, dann sollst du immer das Richtige tun und
anderen helfen, die nicht so stark sind wie du. Das ist sehr wichtig. Du darfst
nicht feige weg schauen. Diese Welt braucht mutige Menschen, sonst wird nie
etwas besser. Verstehst du das?“ Ich war mir wieder nicht sicher, nickte aber
vorsichtig. Ich wollte meinen Vater nicht enttäuschen und eins hatte ich sehr
genau verstanden. Ich sollte mutig sein. Mutig sein konnte ich. Als alle
anderen im Schwimmunterricht noch Angst hatten vom Beckenrand in das ganz tiefe
Wasser zu springen, habe ich es einfach gemacht und es war gar nicht schlimm.
Das Wasser war viel kälter aber nach einer Weile habe ich das gar nicht mehr
gemerkt. Ich wollte es sogar sofort vom zwei Meter Brett versuchen, da hat mein
Vater nur gelacht.
„Ich versprech' es dir, Papa.“ Dann
hämmerte es plötzlich an der Tür und ich konnte hören, wie mehrere Männer in
unsere Wohnung stürmten. Meine Mutter ließ vor Schreck das Geschirr fallen und
kam sofort zu uns ins Zimmer gelaufen. Sie packte mich und drückte mich so fest
an ihre Brust, dass ich kaum noch Luft bekam. Die Männer in unserer Wohnung
trugen dunkelblaue Anzüge und hatten Waffen dabei. Sie sahen so aus wie die
Schutztruppen auf der Straße, nur mit einem anderen Abzeichen auf der Brust.
Ich bekam Angst und fing an, wie verrückt zu zittern. Sie stürmten in mein
Zimmer und packten meinen Vater. Meine Mutter fing an zu weinen, als sie ihn
raus führten. Ich wollte hinterher und ihnen sagen, sie sollen ihn los lassen
und dass mein Papa ein guter Mann sei, der den Menschen half, aber meine Mutter
ließ mich einfach nicht los, egal wie sehr ich auch versuchte von ihr weg
zukommen. Ich schrie nach meinem Vater aber sie blieben nicht
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