Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
unerträglich gewesen.
Ich atme aus und blicke in den Spiegel. Im Gesicht und auf dem guten grauen Hemd finde ich keine Spuren, so wenig wie ich auf den Polstern des Rally Sport welche entdeckt habe (Gott sei Dank). Ich komme mir lächerlich vor in der feinen Kleidung, die danach aussieht, als ginge ich zu einem wichtigen Date. Genau das habe ich nämlich Mr. Dean erzählt, als ich ihn bat, mir sein Auto zu leihen. Bevor ich heute Abend aufgebrochen bin, habe ich mir sogar die Haare mit Gel zurückgekämmt, aber nach dem ganzen verdammten Theater hängen mir jetzt dunkle Strähnen im Gesicht.
»Du solltest dich beeilen und ins Bett gehen, mein Lieber. Es ist schon spät, und wir müssen morgen weiter packen.«
Meine Mom ist mit dem Dolch fertig. Sie hat sich bis zur Tür zurückgezogen, und die schwarze Katze schlängelt sich um ihre Beine wie ein gelangweilter Fisch um eine Plastikburg.
»Ich will nur noch rasch unter die Dusche«, sage ich. Sie seufzt und geht.
»Aber du hast ihn doch erwischt, oder?«, ruft sie über die Schulter zurück, als sei es ihr jetzt erst eingefallen.
»Ja, ich habe ihn erwischt.«
Sie lächelt mich an. Es sieht traurig und wehmütig aus. »Dieses Mal war es knapp. Du dachtest, du könntest ihn bis Ende Juli erledigen, und jetzt haben wir schon August.«
»Er war schwer zu packen.« Ich nehme mir ein Handtuch vom Regal. Ich glaube nicht, dass sie noch etwas sagen will, doch plötzlich hält sie noch einmal inne und dreht sich um.
»Wärst du hiergeblieben, wenn du ihn nicht erwischt hättest? Hättest du die Sache mit dem Mädchen verschoben?«
Ich denke nur ein paar Sekunden nach. Eine natürliche kleine Pause im Gespräch. Die Antwort wusste ich schon, ehe sie die Frage ganz ausgesprochen hat.
»Nein.«
Als sie geht, lasse ich die Bombe platzen. »Hör mal, kannst du mir das Geld für einen neuen Satz Reifen leihen?«
»Theseus Cassio«, stöhnt sie, und ich schneide eine Grimasse, aber ihr genervtes Seufzen sagt mir, dass ich morgen früh losziehen kann.
Unser Ziel ist Thunder Bay in Ontario. Dort werde ich sie töten. Sie heißt Anna. Anna Korlov. Anna mit dem blutroten Kleid.
»Du machst dir ihretwegen Sorgen«, sagt Mom, die am Lenkrad des Umzugswagens sitzt. Ich rede ihr oft zu, wir sollten uns lieber einen eigenen Wagen kaufen, statt immer einen zu mieten. Gott weiß, wir
ziehen ja wirklich oft genug um, auf der Jagd nach Geistern.
»Wie kommst du darauf?«, frage ich. Sie nickt in die Richtung meiner Hand. Mir war gar nicht bewusst, dass ich auf den Lederbeutel getrommelt habe, in dem sich Dads Athame befindet. Es kostet mich ein wenig Überwindung, die Hand dort zu lassen. Ich trommele weiter, als hätte es keine Bedeutung, und als habe sie mit ihrer analytischen Art Dinge gesehen, die gar nicht da sind.
»Ich war vierzehn, als ich Peter Carver getötet habe, Mom«, sage ich. »Seitdem bin ich dabei. So schnell bringt mich nichts mehr aus der Ruhe.«
Ihre Miene verhärtet sich. »So solltest du das nicht ausdrücken. Du hast Peter Carver nicht getötet. Peter Carver war schon tot, als er dich angegriffen hat.«
Manchmal erstaunt es mich, wie sie die Dinge allein dadurch ins Lot bringen kann, dass sie die richtigen Worte benutzt. Sollte ihr okkultistischer Versandhandel jemals pleite gehen, könnte sie mühelos irgendetwas anderes verkaufen.
Sie hat recht, Peter Carver hat mich angegriffen. Aber erst nachdem ich in das verlassene Haus der Carvers eingebrochen war. Das war mein erster Einsatz, und ich habe es ohne Erlaubnis meiner Mom getan. Nein, das ist stark untertrieben. Ich habe es trotz des lautstarken Protests meiner Mom getan und musste das Schloss vor meinem Schlafzimmerfenster knacken, um aus dem Haus zu kommen. Aber ich habe es getan. Ich habe das Messer meines Vaters mitgenommen,
bin eingebrochen und habe bis zwei Uhr morgens in dem Raum ausgeharrt, wo Peter Carver seine Frau mit einer .44er Pistole erschossen und sich anschließend mit seinem eigenen Gürtel im Wandschrank erhängt hat. Ich habe genau in dem Zimmer gewartet, wo sein Geist zwei Jahre nach seinem Selbstmord einen Makler, der das Haus verkaufen wollte, und noch ein Jahr später einen Immobiliengutachter ermordet hatte.
Ich erinnere mich genau, wie mir damals die Hände zitterten und ich mich vor Aufregung fast übergeben musste. Ich weiß noch, dass ich es um jeden Preis tun wollte, weil ich einfach meine Aufgabe erfüllen musste, genau wie mein Vater es getan hatte. Als die
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