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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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in Verzweiflung und sah klar ein, daß seine Hoffnung sinnlos sei, fühlte sich aber trotzdem als ein
    ganz anderer Mensch, völlig unähnlich dem, der er vor ihrem Lächeln und vor den Worten »Auf Wiedersehen!« gewesen
    war.
    Stepan Arkadjewitsch stellte unterwegs in Gedanken die Speisenfolge des Mittagsmahles zusammen.
    »Du ißt doch wohl gern Steinbutt?« fragte er Ljewin, als sie an dem Restaurant vorfuhren.
    »Was?« erwiderte Ljewin. »Steinbutt? Ja, Steinbutt esse ich leidenschaftlich gern.«
Fußnoten
    1 (engl.) unser kleiner Bär.

10
    Als Ljewin mit Oblonski in das Hotel trat, drängte sich jenem die Wahrnehmung auf, daß Oblonskis Gesicht und
    gesamte Gestalt einen ganz besonderen Eindruck machten, gleichsam den Eindruck eines verhaltenen strahlenden
    Leuchtens. Oblonski legte den Überzieher ab und ging, den Hut schief auf einem Ohr, in den Speisesaal. Während des
    Gehens erteilte er den tatarischen Kellnern, die im Frack, das Tellertuch unter dem Arm, ihn umdrängten und
    begleiteten, seine Befehle. Indem er sich nach rechts und links gegen Bekannte verbeugte, die er auch hier in Menge
    fand und die ihn wie überall freudig begrüßten, ging er an den Schanktisch, trank einen Schnaps, aß ein Stückchen
    Fisch dazu und machte zu der geschminkten, mit Bändern, Spitzen und Haarwickeln aufgeputzten Französin, die als
    Kassiererin dasaß, eine Bemerkung, worüber diese laut lachen mußte. Ljewin hingegen verzichtete nur deswegen auf
    einen Schnaps, weil ihm diese Französin, die ganz aus falschem Haar, poudre de riz und vinaigre de toilette 1 zusammengesetzt zu sein schien, gar zu widerwärtig
    war. Wie von einem unsauberen Orte trat er schnell von ihr weg. Seine ganze Seele war von der Erinnerung an Kitty
    erfüllt, und in seinen Augen leuchtete ein Lächeln des Triumphes und des Glückes.
    »Bitte, hierher, Euer Durchlaucht; hier werden Euer Durchlaucht ungestört sein«, sagte ein mit besonderer
    Beflissenheit sich an sie herandrängender alter Tatar mit blassem Gesichte und breiten Hüften, über denen die
    Frackschöße auseinanderklafften. »Bitte, Euer Durchlaucht«, sagte er auch zu Ljewin; denn zum Zeichen besonderer
    Verehrung für Stepan Arkadjewitsch wollte er auch dessen Gast achtungsvoll behandeln.
    Im Nu hatte er ein frisches Tuch über einen bereits gedeckten runden Tisch unter einem bronzenen Wandleuchter
    gebreitet und die Samtsessel herangerückt; dann stellte er sich, das Tellertuch und die Speisekarte in den Händen,
    vor Stepan Arkadjewitsch hin und erwartete seine Bestellungen.
    »Wenn Euer Durchlaucht ein besonderes Kabinett befehlen, es wird sofort eines frei werden: Fürst Golizün mit
    einer Dame. Wir haben frische Austern bekommen.«
    »Ah, Austern!«
    Stepan Arkadjewitsch überlegte.
    »Sollen wir den Kriegsplan ändern, Ljewin?« fragte er. Er hatte den Finger auf die Speisekarte gesetzt, und auf
    seinem Gesicht lag der Ausdruck ernsten Zweifels. »Sind die Austern auch gut? Nimm dich in acht!«
    »Flensburger, Euer Durchlaucht; Ostender haben wir nicht.«
    »Ob Flensburger oder andere, darauf kommt es nicht an; aber sind sie auch frisch?«
    »Wir haben sie gestern bekommen.«
    »Nun also, wie wär's? Wollen wir mit Austern anfangen und demgemäß dann den ganzen Plan umändern? Wie?«
    »Mir ganz gleich. Ich äße am liebsten Kohlsuppe und Grütze; aber so etwas gibt es hier ja nicht.«
    »Befehlen Sie Grütze à la russe?« fragte der Tatar und beugte sich über Ljewin wie eine Wärterin über ein
    kleines Kind.
    »Nein, ohne Scherz, was du auswählst, wird mir recht sein. Ich bin Schlittschuh gelaufen und habe tüchtigen
    Appetit. Und du brauchst nicht zu glauben«, fügte er hinzu, als er auf Oblonskis Gesicht eine gewisse
    Unzufriedenheit bemerkte, »daß ich deine Auswahl nicht werde nach Gebühr zu würdigen wissen. Es wird mir großes
    Vergnügen bereiten, gut zu speisen.«
    »Es wäre auch schlimm, wenn's nicht der Fall wäre!« erwiderte Stepan Arkadjewitsch. »Man mag sagen, was man
    will, das ist einer der schönsten Lebensgenüsse. Nun also, Freundchen, dann gib uns Austern, zwei, oder nein, das
    ist ein bißchen wenig, drei Dutzend; Suppe mit allerlei Grünzeug darin ...«
    »Printanière«, schaltete der Tatar ein. Aber Stepan Arkadjewitsch wollte ihm offenbar nicht den Gefallen tun,
    die Gerichte französisch zu benennen.
    »Mit allerlei Grünzeug darin, verstehst du wohl? Dann Steinbutt mit einer so dicken Tunke, dann – Roastbeef; und
    sorge dafür, daß

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