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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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vom Bösen mußte ein Ende gemacht werden. Und dazu gab es nur ein einziges Mittel: den
    Tod.
    Und Ljewin, dieser glückliche Familienvater, dieser kerngesunde Mensch, war einige Male dem Selbstmord so nahe,
    daß er einen Strick versteckte, um nicht in Versuchung zu kommen, sich daran aufzuhängen, und sich fürchtete, mit
    einem Gewehr auszugehen, um sich nicht zu erschießen.
    Aber Ljewin erschoß sich nicht und erhängte sich nicht, sondern lebte weiter.

10
    Wenn Ljewin darüber nachdachte, was er sei und wozu er lebe, so fand er auf diese Fragen keine Antwort und
    geriet in Verzweiflung; sobald er aber aufhörte, sich diese Fragen vorzulegen, hatte er die Vorstellung, als wisse
    er wirklich, was er sei und wozu er lebe; denn er bewies in seiner ganzen Handlungs- und Lebensweise Festigkeit und
    Sicherheit; in dieser letzten Zeit sogar in noch höherem Grade als früher.
    Als er Anfang Juni wieder aufs Land gezogen war, war er auch zu seinen gewohnten Beschäftigungen zurückgekehrt.
    Die Landwirtschaft, die Beziehungen zu den Bauern und Nachbarn, die Hauswirtschaft, die in seinen Händen liegenden
    Angelegenheiten seiner Schwester und seines Bruders, das Verhältnis zu seiner Frau und zu den Verwandten, die Sorge
    um das Kind, die neue Leidenschaft für die Bienenzucht, die er seit diesem Frühjahr eifrig betrieb, all das füllte
    seine Zeit aus.
    Diese Beschäftigungen erfüllten ihn nicht deswegen, weil er sie vor sich selbst durch irgendwelche allgemeinen
    Gesichtspunkte gerechtfertigt hätte, wie er das früher zu tun pflegte; im Gegenteil, einerseits enttäuscht durch
    das Mißlingen seiner früheren gemeinnützigen Unternehmungen, anderseits zu sehr in Anspruch genommen durch seine
    Gedanken und die Menge von Arbeit, die sich von allen Seiten her für ihn aufhäufte, hatte er jetzt alle Gedanken an
    das Gemeinwohl völlig fallengelassen, und diese Beschäftigungen erfüllten ihn nur deswegen, weil er meinte, es sei
    seine Pflicht, das zu tun, was er tat, und er könne gar nicht anders.
    Früher (und diese Erfahrung hatte fast schon in seiner Kindheit begonnen und sich bis zu seinem vollen
    Mannesalter immer mehr gesteigert), wenn er sich bemühte, irgend etwas zu tun, was allen, das heißt der ganzen
    Menschheit oder dem russischen Vaterlande oder dem ganzen flachen Lande, zum Heile gereichen sollte, hatte er die
    Wahrnehmung gemacht, daß die Gedanken daran sehr vergnüglich waren, die Tätigkeit selbst aber immer ihr
    Unangenehmes hatte und nicht recht gelingen wollte; es hatte ihm die volle Überzeugung von der unbedingten
    Notwendigkeit dieser Tätigkeit gemangelt, und die Tätigkeit selbst, die ihm anfangs als etwas so Hohes und
    Großartiges erschienen, war in seinen Augen immer unbedeutender und nichtiger geworden. Jetzt aber, wo er nach
    seiner Verheiratung sich mehr und mehr darauf beschränkte, sich selbst zu leben, empfand er zwar keine besondere
    Freude mehr bei dem Gedanken an seine Tätigkeit, aber er hatte die Überzeugung, daß sie notwendig war, und sah, daß
    sie weit besser vonstatten ging als früher und immer wichtiger und bedeutsamer wurde.
    Jetzt wühlte er sich, beinahe gegen seinen Willen, wie ein Pflug immer tiefer und tiefer in die Erde hinein, so
    daß er sich nicht mehr herausarbeiten konnte, ohne die Furche zu verderben.
    Daß die Familie so lebe, wie die Väter und Großväter zu leben gewohnt waren, das heißt auf der gleichen
    Bildungshöhe, und daß die Erziehung der Kinder dem entspreche, das erachtete Ljewin für eine unzweifelhafte
    Notwendigkeit; das war gerade ebenso notwendig, wie Mittagbrot zu essen, wenn man hungrig geworden ist. Und wie zu
    diesem Zwecke notwendig ist, daß das Mittagbrot zubereitet werde, so war es gleicherweise notwendig, die
    Wirtschaftsmaschine in Pokrowskoje derart in Gang zu halten, daß Einnahmen erzielt wurden. Und wie man eine Schuld
    zurückzahlen muß, so mußte man gleicherweise das ererbte Land in einem solchen Zustand erhalten, daß der Sohn, der
    es erben würde, dem Vater ebenso dankbar dafür sein konnte, wie Ljewin seinem Großvater für alles, was dieser
    gebaut und gepflanzt hatte, dankbar war. Und zu diesem Zwecke war es notwendig, daß er das Land nicht verpachtete,
    sondern es selbst bewirtschaftete, Vieh hielt, die Äcker düngte und Wald anpflanzte.
    Der Angelegenheiten Sergei Iwanowitschs und der Schwester und der Bauern, die zu ihm kamen, um sich Rat zu
    holen, und sich daran schon völlig gewöhnt hatten, dieser

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