Anna Karenina
dem Schwungrad zurecht. Und was die Hauptsache ist: nicht
nur sie, sondern auch mich wird man einscharren, und es wird nichts von mir übrigbleiben. Wozu also all das?‹
Diesen Gedanken gab er sich hin und blickte gleichzeitig auf die Uhr, um zu berechnen, wieviel in einer Stunde
gedroschen würde. Er mußte das wissen, um danach die Arbeitsmenge für den Tag festzusetzen.
›Sie dreschen schon fast eine Stunde und haben erst den dritten Haufen angefangen‹, dachte Ljewin, trat zu dem
Zureicher und befahl ihm, indem er das Rasseln der Maschine zu übertönen versuchte, loser zuzureichen.
»Du gibst zuviel auf einmal, Fjodor! Siehst du, es verstopft sich, und dann schafft es nicht ordentlich. Du mußt
es gleichmäßiger machen!«
Fjodor, ganz schwarz von dem Staube, der ihm an dem schweißigen Gesicht klebte, schrie irgend etwas zur
Erwiderung, machte es aber nicht so, wie Ljewin es wollte.
Ljewin ging an die Trommel heran, schob Fjodor zur Seite und fing selbst an zuzureichen.
Nachdem er bis zum Mittagessen der Bauern gearbeitet hatte, bis zu dem es nicht mehr lange gewesen war, verließ
er mit dem Zureicher zusammen die Getreidedarre und knüpfte mit ihm ein Gespräch an; sie waren neben einem Schober
von gelben Roggengarben stehengeblieben, der auf dem Dreschboden zu Saatkorn sorgsam aufgebaut war.
Der Zureicher war in einem entfernten Dorf zu Hause, in demselben Dorf, wo Ljewin früher Land auf
genossenschaftlicher Grundlage abgegeben hatte. Jetzt war das Land an den Herbergswirt verpachtet.
Ljewin sprach mit dem Zureicher Fjodor über dieses Land und fragte ihn, ob nicht vielleicht Platon, ein reicher,
braver Bauer aus diesem Dorfe, Lust haben werde, es für das nächste Jahr zu pachten.
»Der Preis ist zu hoch, Konstantin Dmitrijewitsch; so viel kann Platon nicht herausarbeiten«, antwortete der
Bauer und suchte die Ähren hervor, die ihm an der schweißigen Brust unter das Hemd geraten waren.
»Aber wie stellt es denn Kirillow an, daß er es herauswirtschaftet?«
»Mitjucha« (so nannte der Bauer verächtlich den Herbergswirt Dmitri Kirillow), »wie wird denn der nicht soviel
herausschlagen, Konstantin Dmitrijewitsch! Der preßt die Leute aus und versteht sich auf seinen Vorteil. Der hat
kein Erbarmen mit einem Christenmenschen. Dagegen Onkel Fokanütsch« (so nannte er den alten Platon), »der zieht
keinem das Fell über die Ohren. Mal kreditiert er, mal läßt er etwas ab. Auch hält er nach der Ernte nicht
Nachlese. Er hat ein menschliches Herz.«
»Aber warum läßt er denn etwas ab?«
»Ja, er tut es eben. Wissen Sie, die Menschen sind verschieden. Der eine lebt nur für seinen eigenen Vorteil,
wie dieser Mitjucha, und stopft sich nur seinen Bauch voll; aber Fokanütsch, das ist ein rechtschaffener alter
Mann. Er lebt für seine Seele. Er hat Gott vor Augen.«
»Was heißt das: er hat Gott vor Augen, er lebt für seine Seele?« fragte Ljewin; er schrie die Frage beinahe
heraus.
»Nun, ganz einfach: er lebt nach der Gerechtigkeit, nach Gottes Gebot. Die Menschen sind eben verschieden. Um
gleich Sie zu nehmen, Sie werden ja doch auch niemandem zu nahe treten ...«
»Na ja, na ja, also adieu!« sagte Ljewin, der vor Aufregung kaum atmen konnte; er drehte sich um, nahm seinen
Stock und ging schnell fort auf dem Wege nach seinem Hause. Bei den Worten des Bauern, daß Fokanütsch für seine
Seele lebe, nach der Gerechtigkeit, nach Gottes Gebot, hatte er die Empfindung gehabt, als ob eine Menge unklarer,
aber wichtiger Gedanken aus irgendeinem verschlossenen Raum in seinem Innern hervorbräche und als ob diese Gedanken
dann, alle nach ein und demselben Ziel strebend, in seinem Kopf umherwirbelten und ihn mit ihrem Lichte
blendeten.
12
Ljewin ging mit großen Schritten auf der Landstraße hin und richtete dabei seine Aufmerksamkeit nicht sosehr auf
seine Gedanken (diese vermochte er noch nicht zu entwirren) wie auf seinen Seelenzustand; denn einen derartigen
Seelenzustand hatte er früher noch nie durchgemacht.
Die Worte, die der Bauer gesprochen, hatten in seiner Seele die Wirkung eines elektrischen Funkens
hervorgebracht und einen ganzen Schwarm zerstreuter, kraftloser, vereinzelter Gedanken, die eigentlich niemals
aufgehört hatten, ihn zu beschäftigen, umgestaltet und zu einem Ganzen verbunden. Diese Gedanken hatten ihn, ohne
daß er sich dessen selbst bewußt gewesen wäre, auch in dem Augenblick beschäftigt, als er von der Verpachtung des
Landes sprach.
Er
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