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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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es doch geschehen; so kann die Sache ja nicht bleiben‹, sagte er zu sich, bestrebt,
    sich Mut zu machen. Er reckte die Brust heraus, holte eine Zigarette hervor, zündete sie an, rauchte ein paar Züge,
    warf sie in das Aschenschälchen aus Perlmutter, durchmaß mit schnellen Schritten den Salon und öffnete die Tür zum
    Schlafzimmer seiner Frau.

4
    Er fand Darja Alexandrowna in der Nachtjacke, die Flechten ihres bereits recht dünn gewordenen, früher so
    dichten schönen Haares am Hinterkopf aufgesteckt, mit verfallenem, hagerem Gesicht und großen, erschrockenen Augen,
    die infolge der Hagerkeit des Gesichts stark hervortraten. Sie stand mitten unter allerlei Sachen, die im Zimmer
    umhergeworfen waren, vor einem offenen Wäscheschrank, aus dem sie einzelnes heraussuchte. Als sie die Schritte
    ihres Mannes hörte, hielt sie inne und blickte nach der Tür, wobei sie sich ohne Erfolg bemühte, ihrem Gesichte
    einen strengen, verächtlichen Ausdruck zu verleihen. Sie fühlte, daß sie vor ihm Furcht hatte und sich vor der
    bevorstehenden Aussprache ängstigte. Eben erst hatte sie von neuem versucht, das zu tun, was sie schon zehnmal in
    diesen drei Tagen zu tun versucht hatte: von den Sachen der Kinder und von ihren eigenen das Notwendigste
    herauszusuchen, um es zu ihrer Mutter bringen zu lassen. Und wieder konnte sie sich nicht endgültig dazu
    entschließen; aber auch jetzt sagte sie sich ebenso wie bei den früheren Versuchen, daß dieser Zustand nicht
    fortdauern könne; sie müsse irgend etwas unternehmen, ihren Mann bestrafen, bloßstellen, sich an ihm rächen, indem
    sie ihm wenigstens einen kleinen Teil des Schmerzes antäte, den er ihr zugefügt habe. Sie sagte sich immer noch,
    daß sie ihn verlassen wolle, fühlte aber, daß das unmöglich sei; unmöglich aber war es deswegen, weil sie nicht
    davon lassen konnte, ihn als ihren Gatten zu betrachten und zu lieben. Außerdem sah sie voraus, daß, wenn sie schon
    hier, im eigenen Hause, mit der Pflege und Beaufsichtigung ihrer fünf Kinder kaum fertig wurde, diese dort, wohin
    sie sich mit ihnen allen begeben wollte, noch schlechter versorgt werden würden. War doch schon in diesen drei
    Tagen der Jüngste von schlechter Fleischbrühe, die er bekommen hatte, krank geworden, und die übrigen hatten
    gestern fast gar kein Mittagessen gehabt. Sie fühlte, daß es ihr unmöglich sei, von hier wegzugehen; aber sie
    täuschte sich trotzdem selbst etwas vor, suchte die Sachen zusammen und tat, als ob sie weg wolle.
    Als sie ihren Mann erblickte, versenkte sie die Hände in ein Fach des Wäscheschrankes, als ob sie etwas suchte,
    und sah sich nach ihm erst um, als er ganz dicht an sie herangetreten war. Aber ihr Gesicht, dem sie einen
    strengen, entschlossenen Ausdruck verleihen wollte, sprach nur von Ratlosigkeit und tiefem Leide.
    »Dolly!« sagte er mit leiser, schüchterner Stimme. Er hatte den Kopf in die Schultern hineingezogen und wollte
    sich gern ein klägliches, demütiges Aussehen geben, aber dabei strahlte er doch von Frische und Gesundheit. Mit
    einem schnellen Blicke überschaute sie vom Kopf bis zu den Füßen seine prächtige, lebensfrohe Gestalt. ›Ja, er ist
    glücklich und zufrieden!‹ dachte sie. ›Aber ich? ... Und diese widerwärtige Gutmütigkeit, um derentwillen ihn alle
    lieben und loben; ich hasse an ihm diese Gutmütigkeit.‹ Ihr Mund preßte sich zusammen; die Wangenmuskeln auf der
    rechten Seite ihres bleichen, nervösen Gesichtes zuckten.
    »Was wünschen Sie?« fragte sie schnell in unnatürlich klingendem Tone.
    »Dolly«, sagte er noch einmal, und seine Stimme zitterte dabei. »Anna kommt heute her.«
    »Was geht es mich an? Ich kann sie nicht empfangen!« schrie sie auf.
    »Aber es wird doch nötig sein, Dolly ...«
    »Gehen Sie weg, gehen Sie weg!« rief sie, ohne ihn anzublicken, als wäre dieser Aufschrei durch einen
    körperlichen Schmerz hervorgerufen.
    Stepan Arkadjewitsch hatte wohl ruhig sein können, solange er an seine Frau nur dachte; da hatte er hoffen
    können, es werde sich alles, nach Matweis Ausdruck, wieder einrenken, und hatte in dieser Hoffnung ruhig seine
    Zeitung lesen und seinen Kaffee trinken können; als er aber jetzt ihr abgehärmtes Märtyrergesicht vor sich sah und
    diesen Ton ihrer Stimme hörte, aus dem ihre Ergebung in das Schicksal und ihre Verzweiflung herausklangen, da war
    es ihm, als wenn er ersticken müßte; es stieg ihm etwas in die Kehle, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Mein

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