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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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der sie genau kannte und wußte, daß, wenn er sich einmal auch nur fünf Minuten später hinlegte als gewöhnlich, sie es bemerkte und ihn nach dem Grunde fragte, für ihn, der wußte, daß sie alle ihre Freuden, ihre Lust und ihren Kummer immer sofort mit ihm teilte, für ihn war jetzt von vielsagender Bedeutung die Wahrnehmung, daß sie seinen Zustand nicht bemerken und daß sie über sich selbst kein Wort sagen wollte. Er sah, daß die Tiefen ihrer Seele, die früher immer offen vor seinem Blick dagelegen hatten, ihm jetzt verschlossen waren. Und damit nicht genug: an ihrem Ton merkte er, daß sie darüber gar nicht einmal verlegen war, sondern ihm gleichsam geradezu sagte: ›Ja, meine Seele ist für dich verschlossen, und das soll so sein und wird künftig so bleiben.‹ Jetzt hatte er eine Empfindung, wie wenn jemand nach Hause zurückgekehrt ist und sein Haus verschlossen findet. ›Aber vielleicht ist der Schlüssel noch zu finden‹, dachte Alexei Alexandrowitsch.
     
    »Ich möchte dich davor warnen«, sagte er leise, »aus Unvorsichtigkeit und Leichtsinn den Leuten Anlaß zu Gerede über dich zu geben. Deine heutige gar zu lebhafte Unterhaltung mit dem Grafen Wronski (er sprach diesen Namen mit fester, ruhiger Stimme in aller Deutlichkeit aus) hat Aufsehen erregt.«
     
    Während er das sagte, blickte er in ihre lachenden Augen, die ihm jetzt in ihrer Undurchdringlichkeit so furchtbar waren, und fühlte schon während des Redens die ganze Nutzlosigkeit und Vergeblichkeit seiner Worte.
     
    »So bist du immer«, antwortete sie, wie wenn sie ihn gar nicht verstanden hätte; sie tat absichtlich so, als habe sie von dem, was er gesagt hatte, nur das letzte verstanden. »Bald ist es dir nicht recht, wenn ich müde und gleichgültig bin, und ein andermal nicht, wenn ich lebhaft und lustig bin. Ich habe mich gut unterhalten. Ärgert dich das?«
     
    Alexei Alexandrowitsch zuckte zusammen und bog die ineinandergelegten Hände, um mit den Fingern zu knacken.
     
    »Ach, bitte, knacke nicht; das ist mir so zuwider!« sagte sie.
     
    »Anna, bist du es denn wirklich?« fragte Alexei Alexandrowitsch leise, indem er sich Gewalt antat und jene Bewegung der Hände unterließ.
     
    »Was ist denn eigentlich los?« sagte sie mit anscheinend aufrichtiger, komischer Verwunderung. »Was willst du von mir?«
     
    Alexei Alexandrowitsch schwieg eine Weile und rieb sich mit der Hand die Stirn und die Augen. Er sah, daß er, statt das zu tun, was er wollte, nämlich seine Frau vor einem falschen Schritt in den Augen der Welt zu warnen, sich wider seine Absicht über etwas aufregte, was nur ihr Gewissen betraf, und gleichsam gegen eine Mauer ankämpfte, die nur in seiner Einbildung bestand.
     
    »Was ich dir sagen wollte«, fuhr er kühl und ruhig fort, »ist folgendes, und ich bitte dich, mich anzuhören. Ich halte, wie du weißt, die Eifersucht für ein beleidigendes und erniedrigendes Gefühl, und es wird mir nie in den Sinn kommen, mich von diesem Gefühle leiten zu lassen; aber es gibt gewisse Gesetze des Anstandes, die man nicht ungestraft übertreten kann. Aber heute – und das habe nicht eigentlich ich bemerkt, sondern, nach dem Eindruck zu urteilen, den es auf die Gesellschaft gemacht hat, haben es alle bemerkt –, heute hast du dich nicht ganz so benommen und gehalten, wie man es hätte wünschen mögen.«
     
    »Ich verstehe dich schlechterdings nicht«, entgegnete Anna achselzuckend. (›Ihm selbst ist es ganz gleich‹, dachte sie. ›Aber in der Gesellschaft hat es Aufsehen erregt, und das beunruhigt ihn.‹) »Du bist krank, Alexei Alexandrowitsch«, fügte sie hinzu, stand auf und wollte nach der Tür gehen; aber er machte eine Bewegung vorwärts, wie wenn er sie zurückhalten wollte.
     
    Sein Gesicht war entstellt und finster, wie Anna es noch niemals gesehen hatte. Sie blieb stehen, und indem sie den Kopf nach hinten und zur Seite bog, begann sie mit ihrer flinken Hand die Haarnadeln herauszunehmen.
     
    »Nun schön, dann will ich hören, was noch weiter kommt«, sagte sie in ruhigem, spöttischem Tone. »Ich will sogar recht aufmerksam zuhören, weil ich gern begreifen möchte, worum es sich eigentlich handelt.«
     
    Sie sprach und wunderte sich dabei über den natürlich klingenden, ruhigen, sicheren Ton, in dem sie sprach, und über die geschickte Auswahl der Worte, deren sie sich bediente.
     
    »In alle Einzelheiten deiner Gefühle einzudringen, dazu habe ich kein Recht, und ich halte das überhaupt

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