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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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vorgegangen ist und vielleicht noch vorgehen kann, das ist nicht meine Sache; das ist eine Angelegenheit ihres Gewissens und gehört in das Gebiet der Religion‹, sagte er bei sich und empfand eine Art von Erleichterung bei dem Bewußtsein, daß er nun gleichsam die Abteilung des Gesetzbuches gefunden habe, unter die der neu aufgetauchte Umstand falle.
     
    ›Somit‹, sagte Alexei Alexandrowitsch zu sich selbst, ›sind die Fragen nach ihren Gefühlen und so weiter Fragen, die nur ihr eigenes Gewissen angehen, mit dem ich naturgemäß nichts zu tun habe. Meine eigene Obliegenheit ist mir klar vorgeschrieben. Als Haupt der Familie bin ich der, der verpflichtet ist, sie, die Ehefrau, zu leiten, und trage daher auch einen Teil der Verantwortung; es liegt mir ob, auf die Gefahr, die ich sehe, hinzuweisen, zu warnen und sogar von der mir zustehenden Macht Gebrauch zu machen. Es ist meine Pflicht, mit ihr zu sprechen.‹
     
    Und nun ordnete sich in seinem Kopfe alles klar und übersichtlich, was er seiner Frau jetzt sagen wollte. Während er so überlegte, was er ihr sagen werde, überkam ihn ein Bedauern, daß er so nur zum Hausgebrauche, ohne damit die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und öffentliche Anerkennung zu finden, seine Zeit und seine Geisteskräfte aufwenden müsse; aber trotzdem bildeten sich in seinem Kopfe klar und bestimmt, wie zu einem amtlichen Vortrage, die Form und der logische Gang der bevorstehenden Rede heraus. ›Folgendes sind die zu erwähnenden und zu erörternden Stücke: erstens: Darlegung der hohen Bedeutung der gesellschaftlichen Meinung und des gesellschaftlichen Anstandes; zweitens: religiöse Darlegung der Bedeutung der Ehe; drittens: wenn nötig, Hinweis auf das möglicherweise für unseren Sohn daraus hervorgehende Unglück; viertens: Hinweis auf ihr eigenes Unglück.‹ Und dabei schob Alexei Alexandrowitsch, mit den Handflächen nach unten, die Finger durcheinander, und die Finger knackten in den Gelenken.
     
    Diese Bewegung, eine schlechte Gewohnheit, die Hände zusammenzulegen und mit den Fingern zu knacken, übte auf ihn immer eine beruhigende Wirkung aus und verhalf ihm zu jenem seelischen Gleichgewicht, das er gerade jetzt so notwendig brauchte. Vor der Haustür ließ sich das Geräusch eines vorfahrenden Geschirrs vernehmen. Alexei Alexandrowitsch blieb mitten im Salon stehen.
     
    Weibliche Schritte kamen die Treppe herauf. Alexei Alexandrowitsch stand da, bereit, seine Rede zu beginnen, drückte seine verschränkten Finger gegeneinander und wartete, ob noch einer knacken werde. Ein Gelenk knackte noch.
     
    Schon bei dem Geräusche der leichten Schritte auf der Treppe hatte er die Nähe seiner Frau gefühlt, und wiewohl er mit seiner Rede zufrieden war, war ihm doch vor der bevorstehenden Auseinandersetzung bange.
     

9
     
    A nna trat ein; sie hielt den Kopf gesenkt und spielte mit den Quasten ihres Baschliks. Ihr Gesicht strahlte von einem hellen Glanze; aber dieser Glanz war nicht heiter; er erinnerte an den furchtbaren Schein einer Feuersbrunst mitten in dunkler Nacht. Als Anna ihren Mann erblickte, hob sie den Kopf in die Höhe und lächelte, wie aus dem Schlafe erwachend, ihm zu.
     
    »Du noch nicht im Bett? Nun, das ist ein Wunder!« sagte sie, warf den Baschlik ab und ging, ohne stehenzubleiben, weiter nach ihrem Ankleidezimmer. »Es ist Zeit, Alexei Alexandrowitsch«, sagte sie, als sie schon fast aus der Tür war.
     
    »Anna, ich habe mit dir zu sprechen.«
     
    »Mit mir?« erwiderte sie erstaunt, trat von der Tür wieder zurück und sah ihn an. »Was gibt es denn? Worüber?« fragte sie und setzte sich hin. »Nun, dann können wir ja miteinander sprechen, wenn es nötig ist. Aber wir täten besser, zu schlafen.«
     
    Anna redete, was ihr gerade in den Sinn kam, und war, während sie sich reden hörte, selbst erstaunt darüber, daß sie so gut zu lügen verstand. Wie harmlos und natürlich klangen ihre Worte, und wie glaubhaft war es, daß sie sich einfach müde fühlte! Sie fühlte sich in einen undurchdringlichen Panzer der Lüge gehüllt. Sie hatte die Empfindung, als ob eine unsichtbare Kraft ihr beistünde und sie aufrechterhielte.
     
    »Anna, ich muß dich warnen«, sagte er.
     
    »Warnen?« erwiderte sie. »Wovor?«
     
    Sie machte ein so harmloses, heiteres Gesicht, daß jemand, der sie nicht so genau kannte wie ihr Mann, nichts Unnatürliches an ihr hätte bemerken können, weder am Klange ihrer Worte noch an deren Inhalt. Aber für ihn,

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