Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
Vom Netzwerk:
Herrgott!« rief Ljewin so laut, daß Sergei Iwanowitsch erschrocken zusammenfuhr.
     
    »Was hast du, was hast du denn?«
     
    »Was macht denn Agafja Michailownas Hand?« fragte Ljewin und schlug sich gegen die Stirn. »Die hatte ich ja ganz und gar vergessen!«
     
    »Sie ist bedeutend besser.«
     
    »Na, ich will aber doch einmal zu ihr hinlaufen. Ehe du unten deinen Hut aufgesetzt hast, bin ich wieder da.«
     
    Seine Stiefelabsätze schlugen, als er die Treppe hinunterstürmte, so schnell an die Stufen, daß es wie eine Klapper klang.
     
----
    1 (frz.) naturwüchsig, impulsiv.
     

7
     
    W ährend Stepan Arkadjewitsch nach Petersburg gereist war, um eine ganz selbstverständliche, allen Beamten bekannte, wiewohl den Nichtbeamten unverständliche, unerläßliche Pflicht zu erfüllen, ohne deren Erfüllung man überhaupt nicht Beamter sein kann – nämlich sich im Ministerium in Erinnerung zu bringen –, und während er zur Erfüllung dieser Pflicht fast alles im Hause vorhandene Geld mitgenommen hatte und die Zeit lustig und vergnügt bei Pferderennen und mit Besuchen in den Landhäusern verbrachte: unterdessen war Dolly mit den Kindern aufs Land übergesiedelt, um die Ausgaben nach Möglichkeit zu verringern. Sie war nach dem Gute Jerguschowo gezogen, das sie bei ihrer Verheiratung als Mitgift bekommen hatte, nach ebendem Gute, wo im Frühjahr der Wald verkauft worden war; es lag von Ljewins Gut Pokrowskoje ungefähr fünfzig Werst entfernt.
     
    In Jerguschowo war das große alte Herrenhaus schon seit langer Zeit völlig verfallen, und schon Dollys Vater hatte zum Ersatz ein Nebengebäude vergrößern und einrichten lassen. Dieses Nebengebäude war vor zwanzig Jahren, als Dolly noch ein Kind war, für die Familie geräumig genug und ganz behaglich gewesen, wenn es auch wie alle Nebengebäude der Anfahrtsallee und dem Süden seine Flanke zukehrte. Aber jetzt war dieses Nebengebäude alt und muffig. Schon als Stepan Arkadjewitsch im Frühjahr wegen des Waldverkaufs nach dem Gute gefahren war, hatte ihn Dolly gebeten, das Haus nachzusehen und die erforderlichen Ausbesserungen anzuordnen. Stepan Arkadjewitsch, der, wie alle schuldbewußten Ehemänner, sehr um die Bequemlichkeit seiner Frau besorgt war, hatte das Haus selbst besichtigt und alles, was nach seiner Ansicht nötig war, angeordnet. Nach seiner Auffassung mußten die sämtlichen Möbel mit Kretonne überzogen, Gardinen aufgehängt, der Garten gesäubert, Blumen darin gepflanzt und über den Teich eine kleine Brücke gebaut werden; aber er vergaß viele andere notwendige Dinge, deren Mangel Darja Alexandrowna nachher sehr schmerzlich empfand.
     
    Obgleich sich Stepan Arkadjewitsch die größte Mühe gab, ein sorglicher Vater und Gatte zu sein, so vermochte er doch schlechterdings nicht den Gedanken festzuhalten, daß er eine Frau und Kinder habe. Er hatte die Neigungen eines Junggesellen und richtete sich in seinem ganzen Tun nur nach diesen. Nach Moskau zurückgekehrt, erklärte er seiner Frau voll Stolz, alle Vorbereitungen seien getroffen, das Haus werde wie ein Putzkästchen aussehen, und er rate ihr dringend, dorthin überzusiedeln. Daß seine Frau aufs Land zog, war für Stepan Arkadjewitsch in vieler Hinsicht sehr angenehm und erwünscht: für die Kinder war es gesund, die Ausgaben wurden dadurch geringer, und er selbst fühlte sich dann freier. Darja Alexandrowna ihrerseits war der Ansicht, daß ein Sommeraufenthalt auf dem Lande für die Kinder geradezu notwendig sei, namentlich für das kleine Mädchen, das nach dem Scharlachfieber noch gar nicht wieder zurechtkommen wollte; auch freute sie sich darauf, von all den kleinen Demütigungen erlöst zu werden, den kleinen Schulden beim Holzhändler, beim Fischhändler, beim Schuhmacher; denn diese Schulden waren ihr eine Pein. Außerdem war ihr die Reise aufs Land noch deshalb erwünscht, weil sie ihre Schwester Kitty zu bewegen hoffte, zu ihr aufs Land zu kommen; diese sollte um die Mitte des Sommers aus dem Auslande zurückkehren, und es waren ihr kalte Bäder verordnet worden. Kitty schrieb aus dem Badeorte, nichts könne ihr reizvoller erscheinen, als den Sommer mit Dolly zusammen in Jerguschowo zu verleben, wo alles für sie beide voll von Kindheitserinnerungen sei.
     
    Zuerst hatte Dolly auf dem Lande eine recht schwere Zeit durchzumachen. Sie hatte als Kind auf dem Lande gelebt und sich aus jener Zeit die Vorstellung bewahrt, daß das Leben auf dem Lande eine Erlösung von allen

Weitere Kostenlose Bücher