Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
Vom Netzwerk:
Stellen im Stuck der Karniese sahen so widerwärtig aus, dieser ewige Golenischtschew, dieser ewige italienische Professor und diese ewigen deutschen Reisenden waren ihnen so langweilig geworden, daß eine Änderung ihrer Lebensweise ein Ding der Notwendigkeit wurde. Sie beschlossen nach Rußland zu fahren, aufs Land. In Petersburg beabsichtigte Wronski, die Erbteilung mit seinem Bruder vorzunehmen, und Anna, ihren Sohn wiederzusehen. Den Sommer aber wollten sie auf Wronskis großem Familiengut verleben.
     

14
     
    L jewin war nun fast drei Monate verheiratet. Er war glücklich, aber in ganz anderer Weise, als er es erwartet hatte. Auf Schritt und Tritt begegnete ihm bald eine Enttäuschung gegenüber seinen früheren Träumereien, bald ein neues, unerwartetes Entzücken. Er war glücklich; aber nachdem er jetzt in das Eheleben eingetreten war, sah er in all und jeder Hinsicht, wie ganz anders es beschaffen war, als er es sich vorgestellt hatte. Er hatte fortwährend die Empfindung wie jemand, der sich von weitem an dem Anblick eines sanft und glücklich dahinfahrenden Kahnes ergötzt hat, nun selbst in diesen Kahn eingestiegen ist. Da sieht er denn, daß es keineswegs genügt, still und ohne zu schaukeln dazusitzen, sondern daß er auch den Umständen gemäß selbst handeln muß, daß er keinen Augenblick des Zieles seiner Fahrt uneingedenk sein darf, und daß sich unter seinen Füßen Wasser befindet, und daß er rudern muß, und daß das ungewohnten Händen weh tut, und daß das zwar sehr leicht anzusehen, aber, wenn es auch sehr viel Freude macht, doch recht schwer zu tun ist.
     
    Oft, wenn er als Junggeselle auf das Eheleben anderer Leute hingeblickt hatte, auf die kleinlichen Sorgen, die Streitigkeiten, die Eifersüchteleien, dann hatte er im stillen nur geringschätzig gelächelt. In seinem eigenen künftigen Eheleben konnte seiner festen Überzeugung nach nichts Derartiges vorkommen; ja er war der Meinung gewesen, auch die gesamten äußeren Formen des Ehelebens würden bei ihm mit Notwendigkeit in allen Stücken ganz anders sein. Und statt dessen gestaltete sich nun sein eigenes Zusammenleben mit seiner Frau zu seiner Überraschung ganz und gar nicht in irgendwelcher besonderen Weise; im Gegenteil, sein ganzes Eheleben setzte sich aus denselben nichtigen Kleinigkeiten zusammen, die er früher so geringgeschätzt hatte, die aber jetzt, ganz gegen seinen Willen, eine außerordentliche, unbestreitbare Bedeutung erlangt hatten. Und Ljewin sah, daß die richtige Erledigung aller dieser Kleinigkeiten durchaus nicht so leicht war, wie er sich das gedacht hatte. Obgleich er gemeint hatte, die zutreffendsten Begriffe vom Eheleben zu haben, hatte er sich, wie alle Männer, die Vorstellung gemacht, dieses bestehe lediglich darin, daß man sich dem Genusse seiner Liebe hingebe, den nichts beeinträchtigen dürfe und von dem man sich durch kleinliche Sorgen nicht dürfe ablenken lassen. Er würde, so hatte er sich das ausgemalt, zuerst seine Arbeit verrichten und sich dann in den Armen der Liebe davon erholen. Seine Gattin aber würde nur die eine Aufgabe haben, sich lieben zu lassen. Aber wie alle Männer hatte er vergessen, daß auch sie werde arbeiten müssen. Und er war ganz erstaunt, daß sie, diese poetische, reizende Kitty, gleich in den ersten Wochen, ja gleich in den ersten Tagen ihres Ehelebens es fertigbrachte, an Tischtücher, an Möbel, an Matratzen für die Fremdenstuben, an ein Präsentierbrett, an den Koch, an das Mittagessen und ähnliche Dinge zu denken und all so etwas zu überlegen und zu besorgen. Schon als er noch Bräutigam war, hatte ihn die Bestimmtheit überrascht, mit der sie eine Reise ins Ausland ablehnte und sich dafür aussprach, gleich nach dem Gute überzusiedeln, als wüßte sie schon Bescheid, was nötig sei; wie hatte sie nur außer an ihre Liebe auch noch an andere Dinge denken können! Das hatte ihn damals gekränkt, und auch jetzt verletzte sie ihn manchmal durch ihre kleinlichen Sorgen und Geschäfte. Aber er sah, daß ihr das ein Herzensbedürfnis war. Und obwohl er nicht recht verstand, wozu diese eifrige Tätigkeit nötig und nütze sei, und sich darüber lustig machte, so konnte er doch, da er seine Frau liebte, nicht umhin, auf ihre Tätigkeit mit Freude und Bewunderung zu blicken. Er machte sich darüber lustig, wie eifrig sie die aus Moskau mitgebrachten Möbel aufstellte, wie sie ihr Zimmer und das seinige neu einrichtete, wie sie die Gardinen aufhängte, wie sie die

Weitere Kostenlose Bücher