Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
künftigen Fremdenzimmer und das Zimmer für Dolly zurechtmachte, wie sie für ihre Kammerjungfer eine Stube ausstattete, wie sie dem alten Koch Anweisungen für das Mittagessen gab und wie sie sich in längere Auseinandersetzungen mit Agafja Michailowna einließ, der sie die Verwaltung der Vorratskammer abnehmen wollte. Er sah, daß der alte Koch lächelte und sie mit Wohlgefallen betrachtete, während er ihre ungeschickten, unmöglichen Befehle anhörte; er sah, daß Agafja Michailowna über die neuen Anordnungen der jungen Herrin wegen der Vorratskammer bedenklich und freundlich den Kopf schüttelte; er sah, daß Kitty ganz allerliebst war, wenn sie lachend und weinend zu ihm kam, um sich darüber zu beklagen, daß die Kammerjungfer Mascha immer noch gewohnt sei, sie als das junge Fräulein zu betrachten, und ihr daher niemand recht folgen wolle. All das schien ihm so lieb und nett, aber doch wunderlich, und er meinte, daß es ohne diese materiellen Dinge schöner sein würde.
Er konnte ihr nicht recht nachfühlen, was sie bei dieser Veränderung ihrer Lebensstellung empfand: daß sie früher zu Hause manchmal Appetit auf Kohl mit Kwaß oder auf Konfekt gehabt hatte und sich weder das eine noch das andere hatte beschaffen können, jetzt aber in der Lage war, sich Konfekt haufenweise zu kaufen und Geld auszugeben, soviel sie wollte, und sich Pasteten, und was sie sonst nur von Speisen wünschte, machen zu lassen.
Sie dachte jetzt mit lebhafter Freude an die bevor stehende Ankunft Dollys mit den Kindern, namentlich weil sie jedem der Kinder seine Lieblingssorte Kuchen backen lassen wollte und weil sie hoffte, Dolly würde ihre ganze neue Hauseinrichtung bewundern. Sie wußte selbst nicht, woher es kam und wozu es nötig war, aber die Hauswirtschaft hatte für sie eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Da sie instinktiv das Herannahen des Frühlings fühlte und wußte, daß auch garstige Regentage nicht ausbleiben würden, so baute sie ihr Nest, so gut sie es verstand, und hatte es eilig, gleichzeitig zu bauen und zu lernen, wie sie es machen müßte.
Kittys Geschäftigkeit um solche kleinlichen Dinge, die zu Ljewins idealer Vorstellung von dem überirdischen Glück der ersten Ehezeit in so starkem Gegensatze stand, war eine der Enttäuschungen, die er erlebte; und zugleich gewährte ihm diese allerliebste Geschäftigkeit, deren Sinn und Zweck er nicht begriff, die er aber nicht umhinkonnte, mit herzlichem Vergnügen zu beobachten, eine neue entzückende Freude.
Eine andere Enttäuschung und Freude waren die Streitigkeiten. Ljewin hatte sich nie vorstellen können, daß zwischen ihm und seiner Frau ein anderer Ton des Verkehrs als ein durchaus zärtlicher, achtungsvoller, liebevoller möglich sei, und nun hatten sie sich gleich in den ersten Tagen so arg gezankt, daß sie ihm gesagt hatte, er liebe sie nicht, er liebe nur sich allein, und unter verzweifeltem Händeringen in Tränen ausgebrochen war.
Dieser erste Streit war daher entstanden, daß Ljewin nach dem neuen Vorwerk geritten und eine halbe Stunde länger vom Hause weggeblieben war; er hatte heimwärts einen näheren Weg reiten wollen und sich dabei verirrt. Auf dem Heimwege dachte er nur an sie, an ihre Liebe, an sein Glück, und je näher er seinem Hause kam, um so heißer wurde seine zärtliche Sehnsucht nach ihr. Er stürmte zu ihr ins Zimmer mit ebenso feuriger, ja mit noch feurigerer Empfindung als damals, da er in das Schtscherbazkische Haus gekommen war, um ihr einen Antrag zu machen. Und ganz unerwartet begegnete er einer finsteren Miene, wie er sie noch nie an ihr gesehen hatte. Er wollte sie küssen; aber sie stieß ihn zurück.
»Was hast du?«
»Du bist ja sehr vergnügt ...«, begann sie, indem sie sich Mühe gab, in ruhigem, bitterem Tone zu sprechen.
Aber kaum hatte sie den Mund geöffnet, als auch die Worte wie ein gehemmter Strom hervorbrachen: Vorwürfe sinnloser Eifersucht und all die törichten Gedanken, von denen sie diese halbe Stunde lang gepeinigt worden war, während sie ohne sich zu rühren am Fenster gesessen hatte. Erst jetzt verstand er zum ersten Male klar, was er damals noch nicht verstanden hatte, als er sie nach der Trauung aus der Kirche führte. Er verstand, daß sie ihm nicht nur nahestand, sondern daß er jetzt nicht mehr wußte, wo sie aufhörte und er anfing. Er erkannte dies an dem schmerzlichen Gefühl, das er in diesem Augenblick empfand, einem Gefühl, als ob er in zwei Teile
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