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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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peinliche Lage brachte; aber Marja Nikolajewna errötete noch mehr, so sehr, daß ihr beinahe die Tränen kamen. Sie krümmte sich ganz zusammen, faßte mit beiden Händen die Zipfel ihres Tuches und wickelte sie mit ihren roten Fingern hin und her; sie wußte nicht, was sie sagen und was sie tun sollte.
     
    Im ersten Augenblick sah Ljewin den Ausdruck lebhafter Neugier in dem Blick, mit dem Kitty diese ihr unbegreifliche, furchtbare Frauensperson betrachtete; aber das dauerte nur einen Augenblick.
     
    »Nun, wie steht es? Wie befindet er sich?« wandte sie sich an ihren Mann und dann auch an Marja Nikolajewna.
     
    »Hier auf dem Flur können wir doch nicht darüber reden!« sagte Ljewin und blickte ärgerlich zu einem Herrn hin, der gerade im Schlenderschritt, anscheinend nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, den Flur entlangging.
     
    »Nun, dann kommen Sie herein«, sagte Kitty, zu Marja Nikolajewna gewendet, die ihre Fassung wiedergewonnen hatte; aber als sie das betroffene Gesicht ihres Mannes bemerkte, fügte sie hinzu: »Oder geht nur hin und laßt mich dann rufen.« Damit kehrte sie in das Zimmer zurück; Ljewin aber ging zu seinem Bruder.
     
    Was er dort sah und auch was er dort empfand, entsprach in keiner Weise seiner Erwartung. Er hatte erwartet, wieder denselben Zustand der Selbsttäuschung vorzufinden, der, wie er gehört hatte, bei Schwindsüchtigen so oft vorkommt und der sich im Herbste, als sein Bruder ihn besuchte, in so auffälligem Grade gezeigt hatte. Er hatte erwartet, die körperlichen Anzeichen des nahenden Todes zwar noch schärfer ausgeprägt zu finden als damals, eine noch größere Schwäche, eine noch größere Magerkeit, aber doch im ganzen denselben Zustand. Er hatte erwartet, daß er selbst dasselbe Gefühl des Schmerzes über den bevorstehenden Verlust des geliebten Bruders und dasselbe Gefühl des Schreckens vor dem Tode empfinden werde, das er damals empfunden hatte, nur in noch höherem Grade. Darauf hatte er sich gefaßt gemacht; aber er fand etwas ganz anderes.
     
    In einem kleinen, schmutzigen Zimmer, dessen angestrichenes Wandgetäfel arg vollgespuckt war und durch dessen dünne Wand man ein nebenan geführtes Gespräch hören konnte, in einer von dem erstickenden Geruch unsauberer Dinge erfüllten Luft, lag auf einem von der Wand abgerückten Bett ein in eine Decke eingehüllter Körper. Der eine Arm dieses Körpers befand sich oberhalb der Decke, und die gewaltig große, einer Harke ähnliche Hand war in unbegreiflicher Weise an einen dünnen, vom Anfang bis zur Mitte gleich starken, langen Stock befestigt. Der Kopf lag mit der Seite auf dem Kissen. Dem eintretenden Konstantin Ljewin waren die von Schweiß durchtränkten spärlichen Haare an der Schläfe und die von beinah durchsichtiger Haut straff überzogene Stirn sichtbar.
     
    ›Es ist unmöglich, daß dieser entsetzliche Körper mein Bruder Nikolai sein soll‹, dachte er. Aber er trat näher heran und erblickte das Gesicht, und nun war kein Zweifel mehr möglich. Trotz der furchtbaren Veränderung, die mit diesem Gesicht vorgegangen war, brauchte Konstantin nur diese lebhaften, zu dem Eintretenden aufschauenden Augen zu sehen und die schwache Bewegung des Mundes unter dem zusammenklebenden Schnurrbart wahrzunehmen, um sich von der entsetzlichen Tatsache zu überzeugen, daß dieser Leichnam sein noch lebender Bruder war.
     
    Die glänzenden Augen blickten den eintretenden Bruder ernst und vorwurfsvoll an. Und durch diesen Blick wurde sofort festgestellt, was jeder der beiden dem andern gegenüber empfand. Konstantin las sofort den Vorwurf in diesem starr auf ihn gerichteten Blick und fühlte eine Art von Beschämung über sein eigenes Glück.
     
    Als Konstantin seine Hand ergriff, lächelte Nikolai. Es war nur ein ganz leises, kaum wahrnehmbares Lächeln, und trotz des Lächelns trat in dem strengen Ausdruck der Augen keine Veränderung ein.
     
    »Du hast wohl nicht erwartet, mich so zu finden«, brachte er mit Anstrengung hervor.
     
    »Ja ... nein«, antwortete Konstantin, der sich in den Worten verwirrte. »Warum hast du mir nur nicht früher Nachricht zukommen lassen, ich meine um die Zeit, wo ich mich verheiratete? Ich habe überall Nachforschungen nach dir angestellt.«
     
    Er mußte reden, nur um nicht zu schweigen; aber er wußte nicht, was er sagen sollte, um so weniger, da sein Bruder nicht antwortete, sondern ihn immer nur mit unverwandten Augen anblickte und offenbar den wahren Sinn eines

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