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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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in dem Zustande seines Bruders nicht bemerkte und nicht erkannte. Er empfand den furchtbaren Geruch und sah den Schmutz und die Unordnung und Nikolais qualvolle Lage und hörte sein Stöhnen und sagte sich, daß es hier keine Hilfe mehr gebe. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, alle Einzelheiten in dem Zustand des Kranken festzustellen, darüber nachzudenken, wie dieser Körper dort unter der Decke lag, in welcher gekrümmten Haltung diese ausgemergelten Unterschenkel und Hüften und dieser magere Rücken gelagert seien und ob es nicht irgendwie möglich sei, sie besser zu lagern, etwas zu tun, damit der Kranke, wenn es ihm dadurch auch nicht eigentlich besser ginge, es doch nicht ganz so schlimm habe. Es lief ihm kalt über den Rücken, sobald er an all diese Einzelheiten zu denken anfing. Er war, ohne mehr irgendwie zu zweifeln, davon überzeugt, daß sich weder für die Verlängerung von Nikolais Leben noch für die Linderung seiner Leiden etwas tun lasse. Aber der Kranke spürte es heraus, daß sein Bruder jede Hilfe für unmöglich erachtete, und das machte ihn gereizt. Und Konstantin fühlte, wie der Druck, der auf seinem Herzen lag, dadurch noch schwerer wurde. Es war für ihn eine Qual, in dem Zimmer des Kranken zu sein, und nicht da zu sein eine noch größere. Unter allerlei Vorwänden ging er beständig hinaus und kam dann wieder herein, da er nicht imstande war, allein zu bleiben.
     
    Kitty dagegen dachte, fühlte und handelte ganz anders. Beim Anblick des Kranken hatte sie ein herzliches Mitleid empfunden. Und dieses Mitleid hatte in ihrer Frauenseele durchaus nicht ein Gefühl des Entsetzens und des Ekels hervorgerufen wie bei ihrem Manne, sondern vielmehr ein Bedürfnis zu handeln, sich über alle Einzelheiten seines Zustandes zu unterrichten und ihm zu helfen. Und da sie nun an ihrer Pflicht, zu helfen, nicht den geringsten Zweifel hatte, so zweifelte sie auch nicht an der Möglichkeit der Hilfe und machte sich ungesäumt ans Werk. Dieselben Einzelheiten, die ihren Mann in Schrecken versetzten, wenn er auch nur an sie dachte, wurden sofort ein Gegenstand ihrer eifrigen Aufmerksamkeit. Sie ließ einen Arzt holen, schickte nach der Apotheke, ordnete an, daß das Mädchen, das sie vom Gute mitgebracht hatte, mit Marja Nikolajewna zusammen das Zimmer ausfegen, Staub wischen, die Wäsche waschen sollte; einzelnes wusch und spülte sie auch selbst und legte ihm eine Bettflasche unter die Bettdecke. Auf ihre Anordnung wurde ein anderes Gerät in das Krankenzimmer hereingebracht und wieder entfernt. Sie selbst ging mehrmals nach ihrem Zimmer und holte, ohne sich um die begegnenden Herren zu kümmern, Laken, Bezüge, Handtücher und Hemden.
     
    Der Kellner, der im Speisesaal einigen Ingenieuren das Mittagessen auftrug, kam mehrere Male auf Kittys Klingeln mit ärgerlichem Gesicht herbeigelaufen, konnte aber doch nicht umhin, ihre Weisungen auszuführen, da sie sie mit einer solchen freundlichen Eindringlichkeit erteilte, daß es einfach unmöglich war, anders von ihr loszukommen. Konstantin war mit alledem nicht einverstanden; er glaubte nicht, daß der Kranke davon irgendwelchen Nutzen habe. Am meisten aber fürchtete er, der Kranke könnte ärgerlich werden. Indes war der Arme zwar anscheinend dagegen gleichgültig, ärgerlich jedoch wurde er nicht, sondern er schämte sich nur; und im Grunde hatte er doch ein gewisses Gefühl für das, was Kitty an ihm tat. Als Konstantin vom Arzt zurückkehrte, zu dem Kitty ihn geschickt hatte, und die Tür öffnete, fand er den Kranken gerade in dem Augenblick, wo ihm auf Kittys Anordnung die Wäsche gewechselt wurde. Der lange, weiße, skelettartige Rücken mit den großen, herausragenden Schulterknochen und den hervorstehenden Rippen und Wirbeln war entblößt, und Marja Nikolajewna und der Kellner hatten den Ärmel des Hemdes in falsche Lage gebracht und konnten den langen herabhängenden Arm nicht hineinbekommen. Kitty, die hinter Konstantin eilig die Tür wieder geschlossen hatte, sah nicht hin; aber der Kranke stöhnte auf, und da ging sie rasch zu ihm.
     
    »Ihr müßt schneller machen«, sagte sie.
     
    »Kommen Sie nicht her«, sagte der Kranke ärgerlich, »ich werde schon selbst ...«
     
    »Was sagen Sie?« fragte ihn Marja Nikolajewna.
     
    Aber Kitty hatte ihn verstanden und begriffen, daß er sich schäme und es ihm unangenehm sei, in ihrer Gegenwart nackt zu sein.
     
    »Ich sehe gar nicht hin, ich sehe gar nicht hin!« sagte sie, während sie den Arm,

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