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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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schwer wird sich ein Unzufriedener enthalten, das, womit er unzufrieden ist, einem andern und namentlich dem, der ihm am nächsten steht, zum Vorwurf zu machen. Und auch bei Ljewin bildete sich die unklare Vorstellung, daß zwar nicht eigentlich Kitty selbst daran schuld sei (schuld sein konnte sie überhaupt an nichts), wohl aber ihre allzu oberflächliche, leichtfertige Erziehung. (›Dieser dumme Laffe, der Tscharski! Sie wollte ihn abweisen, das weiß ich sicher, verstand es aber nicht zu machen.‹) ›Ja, außer für den Haushalt (dieses Interesse besitzt sie wirklich) und für ihre Kleidung und für Handarbeiten hat sie keine ernsthaften Interessen. Sie hat kein Interesse für das, was jetzt doch auch ihre eigene Angelegenheit ist, für die Landwirtschaft und die Bauern, kein Interesse für die Musik, in der sie doch Tüchtiges leistet, kein Interesse für Bücher. Sie tut nichts und fühlt sich dabei vollkommen befriedigt.‹ Ljewin mißbilligte in seinem Innern dieses Verhalten und hatte noch kein Verständnis dafür, daß sie sich so auf die Zeit gewaltiger Tätigkeit vorbereitete, die für sie eintreten mußte, wenn es ihr obliegen würde, zu gleicher Zeit die Frau ihres Mannes zu sein, das Hauswesen zu leiten und Kinder zu gebären, zu säugen und zu erziehen. Er begriff nicht, daß sie das instinktiv vorher wußte und sich in der Zeit der Vorbereitung auf diese furchtbare Arbeitsleistung keinen Vorwurf wegen der wenigen Augenblicke der Sorglosigkeit und des Liebesglückes zu machen brauchte, die sie jetzt genoß, während sie sich fröhlich ihr Nest für die Zukunft baute.
     

16
     
    A ls Ljewin hinaufkam, saß seine Frau am Teetisch mit dem neuen silbernen Samowar und dem neuen Teegeschirr und las einen Brief von Dolly, mit der sie in beständigem regem Briefwechsel stand. Der alten Agafja Michailowna hatte sie eine Tasse Tee eingegossen und sie an einem kleinen Tischchen Platz nehmen lassen.
     
    »Sehen Sie nur, hier hat mich die gnädige Frau hergesetzt; sie hat mir befohlen, hier bei ihr im Zimmer zu bleiben«, sagte Agafja Michailowna und blickte freundlich lächelnd nach Kitty hin.
     
    Aus diesen Worten der Alten zog Ljewin einen Schluß auf die Lösung des dramatischen Streites, der sich in der letzten Zeit zwischen Agafja Michailowna und Kitty abgespielt hatte. Er sah daraus, daß Kitty trotz der Kränkung, die die alte Haushälterin dadurch erlitten hatte, daß ihr von der jungen Hausfrau die Zügel der Regierung aus der Hand genommen waren, doch den Sieg über Agafja Michailowna davongetragen und sich deren Liebe errungen hatte.
     
    »Da habe ich auch einen an dich gerichteten Brief geöffnet«, sagte Kitty und reichte ihm einen fehlerhaft geschriebenen Brief hin. »Ich glaube, er ist von der Frau, die bei deinem Bruder ist ...«, sagte sie. »Ich habe ihn nicht durchgelesen. Und da ist einer von meinen Eltern und einer von Dolly. Denke dir nur, Dolly ist mit Grigori und Tanja auf einem Kinderball bei Sarmazkis gewesen; Tanja als Marquise.«
     
    Aber Ljewin hörte nicht zu; er griff errötend nach dem Brief von Marja Nikolajewna, der früheren Geliebten seines Bruders Nikolai, und begann ihn zu lesen. Das war schon der zweite Brief, den er von Marja Nikolajewna empfing. Das erstemal hatte sie geschrieben, sein Bruder habe sie ohne ihr Verschulden weggejagt, und mit rührender Schlichtheit hinzugefügt, sie sei zwar jetzt bettelarm, bäte aber um nichts für sich und wünsche für sich nichts; es quäle sie nur der Gedanke, daß Nikolai Dmitrijewitsch bei seiner schwachen Gesundheit ohne sie zugrunde gehen müsse, und daher bäte sie Ljewin, ihn im Auge zu behalten. Jetzt aber teilte sie etwas anderes mit. Sie hatte Nikolai Dmitrijewitsch wiedergefunden, war in Moskau wieder mit ihm zusammengezogen und mit ihm nach der Gouvernementsstadt gereist, wo er eine Anstellung im Staatsdienst erhalten hatte. Aber dort, schrieb sie, hätte er mit seinem Vorgesetzten einen argen Streit gehabt und die Rückfahrt nach Moskau angetreten; unterwegs jedoch sei er so krank geworden, daß er wohl kaum wieder aufkommen werde. »Er spricht immer von Ihnen, und es ist auch kein Geld mehr da.«
     
    »Lies doch einmal; Dolly schreibt auch etwas über dich ...«, begann Kitty lächelnd, hielt aber plötzlich inne, da sie die Veränderung in dem Gesichtsausdrucke ihres Mannes bemerkte. »Was hast du? Was gibt es?«
     
    »Sie schreibt mir, daß mein Bruder Nikolai im Sterben liegt. Ich muß

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