Heiß wie der Steppenwind
Inhaltsangabe
Im Jahre 1945, bei der Eroberung Königsbergs durch die Russen, findet ein sowjeti scher Offizier auf dem Friedhof zwischen den Gräbern einen vor Angst halbgelähm ten, kleinen Jungen. Die Eltern sind tot – vermißt, verschüttet –, der Junge weiß es nicht. Er ist jetzt ganz allein auf der Welt, einer zerberstenden, brennenden Welt , und schutzsuchend wie ein Tier klammert er sich an den fremnden Mann. Der sow jetische Kapitän, er hießt Pjektin, nimmt ihn mit zur Truppe. Aber dort kann der etwa 7jährige Junge nicht bleiben, der Vormarschg auf Berlin geht weiter … Mit ei nem sowjetischen Verwundeten-Zug transportiert man ihn nach Moskau und schließlich in ein Erzhiehungsheim für elternlose Kinder. In diesem Jugendheim wächst er heran als Russe, bekommt den Namen Igor Antonowitsch Pjetkin, nach Kapitän Pjetkin, der ihn adoptiert. Igor ist intelligent, studiert Medizin, wird Chi rurg, hat eine große Karriere vor sich. Eine ehrenvolle Berufung verschlägt ihn nach Südsibirien, an den Amur, in die Steppe am Rande Asiens, den neuralgischen Punkt des ›Jungfräulichen Landes‹, wie der Russe Sibirien nennt, denn gegenüber liegt China. Hier wird er Lagerarzt eines ›Arbeits- und Besserungslagers‹, wie man die Straflager nennt. Und hier lernt er Dunja kennen, Tochter des Dorfsowjets von Issakowa, und gleichfalls Ärztin wie er. Und Marianka Dussowa ist da … die Lager ärztin. Bei Dunja ist es Liebe auf den ersten Blick, und auch Igor erlebt seine erste große Liebe … Um so mehr muß er sich gegen Marianka wehren, die ihn mit ihrer Leidenschaft wie ein Steppensturm niederwirft. Als das Gesundheitskommissariat Dunja nach Irkutsk versetzt, wollen Igor und Dunja heiraten. Und plötzlich bricht die bisher heile Welt zusammen: Das Innenministerium verbietet die Heirat, denn – Pjetkin ist ja kein Russe, sondern ein Deutscher. Niemand begreift das, am wenig sten Igor selbst. Er denkt, handelt und fühlt als Russe. An Deutschland hat er kei ne Erinnerung mehr. Er kennt nur Pjetkin und dessen Frau Irena als Vater und Mutter, er ist sowjetischer Artz … wieso auf einmal Deutscher? Igor rennt gegen dieses Verbot an, und als nichts nützt, stellt er einen Antrag: Wenn schon Deut scher, dann Erlaubnis der Ausreise nach Deutschland – mit Dunja. Das ist das Ende seiner Karriere. Man befördert und strafversetzt ihn gleichzeitig, man trennt die Liebenden und als Igor auch auf seiner neuen Stelle, in einem Krankenhaus in Kasakstan, rebelliert, wird er als Aufwiegler verurteilt und nach Workuta transportiert. Workuta, die Hölle im hohen Norden. Workuta, dessen Name jeder Russe mit einer heimlichen Bekreuzigung ausspricht. Wer in Workuta gelandet ist, hört auf, Hoffnung zu haben. Aber Igor kämpft auch hier um sein Recht: Entweder Russe und Heirat mit Dunja, oder Deutscher und Ausreise nach Deutschland mit Dunja. Er wird ein komplizierter menschlicher, politischer und ideologischer Fall. Das Schicksal Igor Antonowitschs, der eigentlich Hans Kramer heißt, und dessen Eltern noch leben und ihn durchs Rote Kreuz suchen lassen, was Moskau ihm verschweigt, bekommt gerade hier in Workuta eine Wende, die niemand für möglich gehalten hätte …
E RSTES K APITEL
Er lag hinter einem Grabstein, auf dem in goldener Schrift stand: ›Gott liebt dich‹, preßte sich in den weichen, nassen, klebrigen Boden, der unter ihm zitterte, grub das Gesicht in Gras, verfaulte Blumenreste und stachelige Ligusterzweige und heulte wie ein Wolf.
Um ihn herum zerbarst die Welt. Gräber öffneten sich unter tobenden Riesenfäusten.
Er biß vor Angst in den stinkenden Boden, roch Schwefeldunst und Brand, umklammerte vor sich einen Stein, aber er wagte nicht, die Augen zu öffnen, er hatte panische Angst, zu sehen, was er hörte und fühlte, und er dachte immer nur: Mutter … lieber, lieber Gott, wo ist Mutter? Laß sie leben, o lieber Gott … hilf meiner Mutter …
Durch die Luft orgelten neue Salven, Hunderte von Granaten und Minen heulten, die Erde zuckte und schwankte, und zwischen die erdgetränkte Luft und den Dunst mischte sich plötzlich ein neuer, ekelig öliger, heißer, stickiger, beißender Geruch.
Er hob den Kopf und starrte über die Gräber. Er sah graubraune Gestalten huschen, die blecherne Höcker auf dem Rücken trugen und aus ihren Händen Feuer spien, und er dachte an seinen Vater, der erzählt hatte, daß das Grauenhafteste im Krieg die Flammenwerfer seien. Er kroch noch näher an seinen Grabstein,
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