Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
bereits von verschiedenfarbigem, gelbrosigem Schaum und blutfarbenem, sich nach unten ziehendem Sirup bedeckt war. ›Wie er ihnen zum Tee schmecken wird!‹ dachte sie in Gedanken an ihre Kinder und erinnerte sich, wie sie selbst sich als Kind darüber gewundert hatte, daß die Großen gerade das Beste, den Schaum, nicht äßen.
»Stiwa meint, es sei viel zweckmäßiger, Geld zu geben«, setzte Dolly unterdessen das begonnene Gespräch über die beste Art, die Dienstmädchen zu beschenken, fort. »Aber ...«
»Wie kann man nur Geld schenken!« riefen die Fürstin und Kitty wie aus einem Munde. »Das wissen die Mädchen gar nicht zu schätzen.«
»Da habe ich zum Beispiel im vorigen Jahr für unsere Matrona Semjonowna einen Stoff gekauft, nicht Popeline, aber etwas ganz Ähnliches«, sagte die Fürstin.
»Ich erinnere mich; sie hatte das Kleid an Ihrem Namenstage an.«
»Es war ein allerliebstes Muster, so einfach und vornehm. Ich hätte mir am liebsten selbst ein solches Kleid machen lassen, wenn ich nicht schon eins gehabt hätte. Es war so in der Art wie Warjenkas Kleid. So hübsch und so billig.«
»Nun, jetzt, glaub ich, ist er fertig«, sagte Dolly und ließ zur Probe den dicken Saft vom Löffel herunterlaufen.
»Wenn er Kringel bildet, dann ist er gut. Lassen Sie ihn noch ein bißchen kochen, Agafja Michailowna.«
»Nein, diese Fliegen!« schalt Agafja Michailowna ärgerlich. »Der Saft wird jetzt nicht mehr anders«, fügte sie hinzu.
»Ach, wie niedlich! Jagt ihn nicht weg!« sagte auf einmal Kitty und blickte nach einem Sperling, der auf dem Geländer saß, das Zäpfchen von einer Himbeere hin und her drehte und daran pickte.
»Ja, aber du solltest etwas weiter von der Kohlenpfanne weggehen«, ermahnte die Mutter.
»A propos de Warjenka«, sagte Kitty auf französisch, wie sie denn die ganze Zeit über französisch gesprochen hatten, damit Agafja Michailowna sie nicht verstehen sollte. »Sie wissen, maman, daß ich heute glaube, die Entscheidung erwarten zu müssen. Sie verstehen, welche Entscheidung. Wie schön das wäre!«
»Aber was hat sie für eine meisterhafte Geschicklichkeit im Ehestiften!« sagte Dolly. »Wie behutsam und schlau sie die beiden zusammenbringt ...«
»Nun, sagen Sie doch, maman, wie denken Sie darüber?«
»Ja, was soll ich darüber denken? Er« (mit ›er‹ meinte sie Sergei Iwanowitsch) »konnte früher zu jeder Zeit die beste Partie in ganz Rußland machen; jetzt ist er ja gerade nicht mehr jung; aber trotzdem würde ihn auch jetzt noch manches Mädchen nehmen, das weiß ich sicher ... Sie ist ein sehr gutes Mädchen; aber er könnte ...«
»Nein, bitte, hören Sie nur einmal zu, Mama, warum sowohl für ihn wie für sie dies das Beste ist, was man überhaupt ausdenken könnte. Erstens: sie ist allerliebst!« sagte Kitty, indem sie einen Finger einbog.
»Sie gefällt ihm sehr, das ist sicher«, bemerkte Dolly zustimmend.
»Zweitens: er nimmt in der Welt eine solche Stellung ein, daß er bei der Wahl seiner Frau weder auf Vermögen noch auf gesellschaftlichen Rang irgendwelchen Wert zu legen braucht. Was er nötig hat, ist nur eines: eine gute, liebe Frau, eine Frau von ruhigem Charakter.«
»Ja, mit ihr hat ein Mann ein ruhiges Leben«, meinte auch Dolly.
»Drittens: sie muß ihn lieben. Und auch das ist der Fall ... ich wollte sagen: es wäre prächtig, wenn auch das der Fall wäre! ... Ich erwarte, daß, wenn sie wieder aus dem Walde herauskommen, alles entschieden ist. Ich werde es ihnen gleich an den Augen ansehen. Ich würde mich so sehr darüber freuen! Wie denkst du darüber, Dolly?«
»Rege dich nur nicht so auf«, sagte die Mutter. »Aufregung ist dir ganz und gar nicht zuträglich.«
»Ich rege mich ja auch gar nicht auf, Mama. Ich denke mir nur, er macht ihr heute einen Antrag.«
»Ach ja, es ist doch etwas recht Sonderbares, wenn einem ein Mann einen Antrag macht ... Zuerst ist da so eine Art Scheidewand gewesen, und nun wird die auf einmal niedergerissen«, sagte Dolly träumerisch lächelnd und dachte an ihr einstiges Erlebnis mit Stepan Arkadjewitsch.
»Mama, wie hat Ihnen denn Papa einen Antrag gemacht?« fragte Kitty auf einmal.
»Es war nichts Ungewöhnliches dabei; es machte sich ganz einfach«, antwortete die Fürstin; aber ein heller Schein zog bei dieser Erinnerung über ihr Gesicht.
»Aber sagen Sie doch, wie es dabei zuging. Sie haben
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