Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
sprachen, als du vorhin auf die Terrasse kamst?«
»Vom Obsteinkochen?«
»Ja, davon auch; aber dann sprachen wir von der Art, wie Heiratsanträge gemacht werden.«
»Ah so!« erwiderte Ljewin, der mehr auf den Klang ihrer Stimme als auf den Inhalt ihrer Worte hörte und die ganze Zeit über auf den jetzt durch Wald führenden Weg achtete und die Stellen mied, wo sie einen unrichtigen Tritt hätte tun können.
»Und dann sprachen wir auch von Sergei Iwanowitsch und Warjenka. Hast du wohl etwas gemerkt? ... Ich würde sehr wünschen, daß etwas daraus würde«, fuhr sie fort. »Wie denkst du darüber?« Sie blickte ihm ins Gesicht.
»Ich weiß nicht, wie ich darüber denken soll«, antwortete Ljewin lächelnd. »Sergei ist mir in dieser Hinsicht nicht recht verständlich. Ich habe dir ja erzählt ...«
»Ja, daß er sich in ein Mädchen verliebt hatte, das dann starb ...«
»Das fiel in die Zeit, als ich noch ein Kind war; ich weiß davon nur durch Mitteilungen anderer. Aber auf sein Wesen in jener Zeit kann ich mich noch ganz gut besinnen; er war damals außerordentlich lieb und nett. Aber seit jener Zeit beobachte ich ihn in seinen Beziehungen zu den Frauen: er benimmt sich liebenswürdig, und manche gefallen ihm; aber man merkt, daß sie für ihn nur Menschen sind und nicht Frauen.«
»Ja, aber jetzt mit Warjenka ... Es scheint doch, daß er da ...«
»Es kann sein ... Aber man muß ihn näher kennen ... Er ist ein eigenartiger, wunderbarer Mensch. Er führt ein ausschließlich geistiges Leben. Er ist ein zu reiner, hochsinniger Mensch.«
»Wie? Würde er sich etwa dadurch erniedrigen?«
»Nein, das nicht; aber er hat sich dermaßen an ein ausschließlich geistiges Leben gewöhnt, daß er nicht imstande ist, sich mit der Wirklichkeit friedlich auseinanderzusetzen, und Warjenka gehört doch zur Wirklichkeit.«
Ljewin hatte es sich jetzt schon vollständig angewöhnt, das, was er dachte, dreist auszusprechen, ohne sich die Mühe zu geben, es in genau zutreffende Worte zu kleiden; er wußte, daß seine Frau in solchen liebevollen Augenblicken wie jetzt schon aus einer bloßen Andeutung verstand, was er sagen wollte. Und sie hatte ihn auch wirklich verstanden.
»Ja, aber es liegt in ihr nicht eine solche Wirklichkeit wie in mir. Daß er sich in mich nie verlieben könnte, das ist mir begreiflich. Aber sie hat durch und durch etwas Geistiges.«
»Aber nicht doch, er hat dich wirklich sehr lieb, und es ist mir immer eine Freude, daß meine Angehörigen dich liebhaben ...«
»Ja, er ist sehr gut zu mir, aber ...«
»Aber doch nicht so wie der verstorbene Nikolai«, beendete Ljewin den von ihr begonnenen Satz. »Ihr hattet euch richtig ineinander verliebt. Warum sollte ich das nicht sagen?« fügte er hinzu. »Ich mache mir manchmal Vorwürfe, daß ich so wenig an ihn denke, und das Ende wird doch schließlich sein, daß man ihn vergißt. Ach, was für ein schrecklicher und dabei doch so prächtiger Mensch war er! ... Ja, worüber sprachen wir doch nur?« sagte er nach einer kurzen Pause.
»Du meinst, er ist nicht imstande, sich zu verlieben?« fragte Kitty, indem sie das, was ihr Mann gesagt hatte, in ihre Sprache übersetzte.
»Nicht eigentlich, daß er nicht imstande sein sollte, sich zu verlieben«, antwortete Ljewin lächelnd. »Aber er besitzt nicht die Schwäche, die dazu erforderlich ist ... Ich habe ihn immer beneidet, und sogar jetzt, wo ich so glücklich bin, beneide ich ihn.«
»Du beneidest ihn darum, daß er nicht imstande ist, sich zu verlieben?«
»Ich beneide ihn darum, daß er besser ist als ich«, versetzte Ljewin wieder lächelnd. »Er lebt nicht für sich selbst. Sein ganzes Leben hat er in den Dienst der Pflicht gestellt. Und darum kann er ruhig und zufrieden sein.«
»Und du?« fragte Kitty mit einem spöttischen, liebevollen Lächeln.
Sie vermochte schlechterdings nicht, dem Gedankengang, der sie zum Lächeln gebracht hatte, mit Worten Ausdruck zu geben; aber das Ergebnis dieses Gedankenganges war, daß ihr Mann, wenn er von dem Bruder so entzückt rede und sich selbst so tief unter ihn stelle, dabei nicht ganz aufrichtig sei. Kitty wußte, daß diese seine Unaufrichtigkeit aus seiner Liebe zu seinem Bruder hervorging, aus einem Gefühl der Beschämung darüber, daß er unverdientermaßen gar zu glücklich sei, und besonders aus seinem unablässigen Streben, besser zu werden; sie liebte das
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