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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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On oublie la Patti pour elle.« 2
     
    »Maman, ich habe Sie schon früher gebeten, mit mir davon nicht zu sprechen«, antwortete er mit finsterer Miene.
     
    »Ich sage nur, was alle Leute sagen.«
     
    Wronski erwiderte nichts und ging, nachdem er noch ein paar Worte zur Prinzessin Sorokina gesagt hatte, hinaus. In der Tür stieß er auf seinen Bruder.
     
    »Ah, Alexei!« sagte der Bruder. »Welch eine Gemeinheit! Ein dummes Frauenzimmer, weiter nichts ... Ich wollte gerade zu ihr gehen. Gehen wir beide zu sammen!«
     
    Wronski hörte gar nicht, was sein Bruder sagte. Schnellen Schrittes ging er die Treppe hinunter; er fühlte, daß er etwas tun müsse, wußte aber nicht, was. Der Ärger über sie, daß sie sich und ihn in eine so peinliche Lage gebracht hatte, und zugleich das Mitleid mit ihr wegen der Leiden, die sie ausstand, versetzten ihn in die größte Erregung. Er ging ins Parkett hinunter und begab sich geradeswegs nach Annas Loge. Hier stand Stremow und führte mit Anna ein Gespräch.
     
    »Es gibt keine Tenore mehr. Le moule en est brisé. 3 «
     
    Wronski verbeugte sich vor ihr, blieb stehen und begrüßte dann Stremow.
     
    »Sie sind wohl zu spät gekommen und haben die schöne Arie nicht gehört«, sagte Anna zu Wronski und blickte ihn, wie es ihm vorkam, dabei spöttisch an.
     
    »Ich besitze nur ein geringes Verständnis dafür«, antwortete er, indem er einen ernsten Blick auf sie richtete.
     
    »Ganz wie Fürst Jaschwin«, bemerkte sie lächelnd. »Der findet, daß die Patti zu laut singt. – Danke«, sagte sie und nahm mit ihrer kleinen Hand in dem langen Handschuh den Theaterzettel, den Wronski ihr aufgehoben hatte. In diesem Augenblick ging ein plötzliches Zucken durch ihr Gesicht; sie stand auf und trat in den Hintergrund der Loge zurück.
     
    Als Wronski bemerkte, daß im nächsten Akt ihre Loge leer blieb, ging er, obgleich er dadurch ein Zischen des Publikums hervorrief, das bei den Tönen der Kavatine lautlos dasaß, aus dem Parkett hinaus und fuhr nach dem Hotel.
     
    Anna war bereits dort. Als Wronski bei ihr eintrat, befand sie sich noch in derselben Kleidung, in der sie im Theater gewesen war. Sie saß an der Wand auf dem ersten Sessel bei der Tür und sah vor sich hin. Sie blickte den Eintretenden einen Augenblick an, nahm aber sofort wieder ihre frühere Haltung ein.
     
    »Anna«, sagte er.
     
    »Du, du bist an allem schuld!« rief sie (vor Tränen der Verzweiflung und des Ingrimms konnte sie kaum sprechen) und stand auf.
     
    »Ich hatte dich gebeten, dich beschworen, nicht hinzufahren; ich wußte, daß dir Unangenehmes widerfahren würde ...«
     
    »Unangenehmes!« rief sie. »Entsetzlich war es! Solange ich lebe, werde ich das nicht vergessen. Sie hat gesagt, es sei eine Schande, neben mir zu sitzen.«
     
    »Das ist eine Äußerung eines dummen Weibes«, erwiderte er. »Aber welchen Zweck hat es, sich einer solchen Gefahr auszusetzen und die Leute herauszufordern ...«
     
    »Ich bin empört, wie ruhig du dabei bist. Du hättest mich nicht soweit bringen dürfen. Wenn du mich liebtest ...«
     
    »Anna! Was hat meine Liebe damit zu schaffen ...«
     
    »Ja, wenn du mich liebtest, wie ich dich liebe, wenn du solche Qualen ausständest wie ich ...«, sagte sie, ihn mit einem Ausdruck von Herzensangst anblickend.
     
    Sie tat ihm leid, aber doch ärgerte er sich über sie. Er beteuerte ihr seine Liebe, weil er sah, daß dies das einzige Mittel war, sie jetzt zu beruhigen, und machte ihr mit Worten keine Vorwürfe; aber im Herzen war er doch unzufrieden mit ihr.
     
    Und diese Liebesbeteuerungen, die ihm jetzt so leer erschienen, daß er sich eigentlich schämte, sie auszusprechen, hörte sie mit einer Art von Gier an und beruhigte sich allmählich. Am Tage darauf reisten sie, völlig miteinander ausgesöhnt, nach dem Gute ab.
     
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    1 (frz.) Madame Karenina den Hof zu machen.
     
    2 (frz.) Sie erregt Aufsehen. Man vergißt ihretwegen die Patti.
     
    3 (frz.) So etwas findet man nicht mehr.
     

SECHSTER TEIL
     

1
     
    D arja Alexandrowna verlebte den Sommer mit ihren Kindern in Pokrowskoje bei ihrer Schwester Kitty Ljewina. Auf ihrem eigenen Gut war das Wohnhaus vollständig verfallen, und Ljewin und seine Frau hatten ihr zugeredet, den Sommer bei ihnen zu verbringen. Stepan Arkadjewitsch war mit dieser Einrichtung höchst einverstanden. Er sagte, es täte ihm außerordentlich leid, daß ihn der Dienst hindere, mit seiner Familie den Sommer auf dem Lande zu

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