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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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ihn doch gewiß schon geliebt, ehe Sie es sagen durften?«
     
    Kitty fand einen ganz besonderen Reiz darin, daß sie jetzt mit ihrer Mutter wie mit einer Gleichgestellten über diese wichtigsten Fragen im Frauenleben reden konnte.
     
    »Natürlich liebte er mich; er kam häufig zu uns aufs Gut.«
     
    »Aber wie kam es denn zum Ausdruck, Mama?«
     
    »Du denkst wohl, daß ihr etwas Neues erfunden habt? Das ist immer dieselbe Sache: durch die Augen kam es zum Ausdruck und durch die lächelnden Mienen ...«
     
    »Wie hübsch Sie das gesagt haben, Mama! Ganz richtig: durch die Augen und durch die lächelnden Mienen«, stimmte Dolly bei.
     
    »Aber mit welchen Worten hat er es Ihnen denn gesagt?«
     
    »Mit welchen Worten hat es dir denn dein Konstantin gesagt?«
     
    »Er hat es mit Kreide aufgeschrieben. Das war etwas ganz Wunderbares ... Wie weit das schon hinter mir liegt!« fügte sie hinzu.
     
    Und die drei Frauen hingen ihren Gedanken über ein und denselben Gegenstand nach. Kitty war die erste, die das Stillschweigen unterbrach. Es war ihr die Erinnerung an den ganzen letzten Winter vor ihrer Verheiratung und an ihre Schwärmerei für Wronski gekommen.
     
    »Eines ist unangenehm ... das ist Warjenkas frühere Liebschaft«, sagte sie; ein natürlicher Gedankengang hatte sie hierauf geführt. »Ich möchte gern zu Sergei Iwanowitsch ein Wort davon sagen, ihn vorbereiten. Sie, ich meine alle Männer«, fügte sie hinzu, »sind doch furchtbar eifersüchtig auf unsere Vergangenheit.«
     
    »Nicht alle«, versetzte Dolly. »Du urteilst so nach deinem Manne. Der quält sich noch bis auf den heutigen Tag mit der Erinnerung an Wronski herum. Ja? Habe ich recht?«
     
    »Freilich«, antwortete Kitty mit wehmütigem Lächeln.
     
    »Ich verstehe nur nicht«, sagte die Fürstin, um die Art, wie sie als Mutter ihre Tochter beaufsichtigt hatte, zu verteidigen, »was ihn eigentlich an deiner Vergangenheit beunruhigen könnte. Daß Wronski dir den Hof gemacht hat? Dergleichen kommt bei jedem jungen Mädchen vor.«
     
    »Wir wollen nicht davon sprechen«, erwiderte Kitty errötend.
     
    »Nein, erlaube«, fuhr die Mutter fort, »und dann hast du selbst mir nicht gestatten wollen, mit Wronski zu sprechen. Weißt du das wohl noch?«
     
    »Ach, Mama!« sagte Kitty mit einem Ausdruck seelischen Leidens.
     
    »Ja, die jungen Mädchen lassen sich heutzutage nicht zurückhalten ... Übrigens war es ausgeschlossen, daß deine Beziehungen zu ihm sich weiter entwickelt hätten, als sie durften; ich selbst würde ihn veranlaßt haben, mit der Sprache herauszugehen. Aber es tut dir nicht gut, liebes Kind, daß du dich aufregst. Bitte, denke daran und beruhige dich.«
     
    »Ich bin ganz ruhig, maman.«
     
    »Welch ein Glück war es damals für Kitty, daß Anna zu uns kam«, sagte Dolly, »und welch ein Unglück ist nachher für sie selbst daraus entstanden! Es ist alles gerade umgekehrt gekommen«, fügte sie, von ihrem eigenen Gedanken überrascht, hinzu. »Damals war Anna so glücklich, und Kitty hielt sich für unglücklich. Wie hat sich das doch ins Gegenteil verkehrt. Ich muß oft an sie denken!«
     
    »Das verdient sie auch gerade, daß du an sie denkst! So ein garstiges, abscheuliches, herzloses Frauenzimmer!« schalt die Mutter, die es nicht vergessen konnte, daß um ihretwillen Kitty nicht Wronski, sondern Ljewin geheiratet hatte.
     
    »Was kann das nur für einen Reiz haben, davon zu reden!« sagte Kitty ärgerlich. »Ich denke an die Geschichte nicht mehr und will nicht mehr daran denken ... Ich will nicht mehr daran denken ...«, sagte sie und hörte in diesem Augenblick die ihr wohlbekannten Schritte ihres Mannes auf der zur Terrasse heraufführenden Treppe.
     
    »Nun, woran willst du denn nicht denken?« fragte Ljewin, auf die Terrasse tretend.
     
    Aber niemand antwortete ihm, und er wiederholte seine Frage nicht.
     
    »Es tut mir leid, daß ich euer Frauengespräch gestört habe«, sagte er, indem er unzufrieden von einer zur andern blickte; er merkte, daß sie von etwas gesprochen hatten, das sie in seiner Gegenwart nicht erwähnen mochten.
     
    Eine Sekunde lang war es ihm, als teile er Agafja Michailownas Gefühl, nämlich die Unzufriedenheit über das Einkochen der Himbeeren ohne Wasser und überhaupt über den fremden Schtscherbazkischen Einfluß. Indessen lächelte er doch und trat zu Kitty.
     
    »Nun, wie geht es dir?« fragte er sie und sah sie dabei mit dem gleichen Ausdruck an, den jetzt alle im

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