Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Schönheit, die nur in Zeiten der Liebe bei den Frauen vorkommt und die sie jetzt auf Annas Gesicht vorfand. Alles an diesem Gesicht: die Deutlichkeit der Grübchen in Kinn und Wangen, die Haltung der Lippen, das Lächeln, das gleichsam auf dem Gesicht umherhuschte, der Glanz der Augen, die Anmut und Geschwindigkeit der Bewegungen, der volle Klang der Stimme, ja sogar die Art, wie sie halb ärgerlich, halb freundlich auf Weslowskis Frage antwortete, ob sie ihm erlaube, sich auf ihren Pony zu setzen, um ihm den Rechtsgalopp beizubringen – alles war überaus reizvoll, und sie schien das selbst zu wissen und sich darüber zu freuen.
Als die beiden Frauen in die Kutsche einstiegen, überkam sie beide plötzlich eine eigentümliche Verlegenheit. Anna fühlte sich verlegen unter dem forschend fragenden Blicke, mit dem Dolly sie ansah, Dolly dagegen deswegen, weil sie sich nach Swijaschskis Bemerkung über das »Vehikel« unwillkürlich der schmutzigen alten Kutsche schämte, in die sie mit Anna einstieg. Der Kutscher Filipp und der Gutsschreiber hatten dieselbe Empfindung. Der Gutsschreiber war, um seine Verlegenheit zu verbergen, mit besonderem Eifer den Damen beim Einsteigen behilflich; aber der Kutscher Filipp wurde mürrisch und nahm sich gleich von vornherein vor, sich durch diese äußerlichen Vorzüge nicht beeinflussen zu lassen. Mit spöttischem Lächeln betrachtete er den schwarzen Traber und war bereits im stillen mit seinem Urteil fertig, daß dieser Rappe da vor dem Wägelchen nur »für die Prominage« zu gebrauchen sei, aber nicht vierzig Werst bei Hitze ohne Ausspannung machen könne.
Die Bauern waren alle von ihrem Ackerwagen aufgestanden, schauten neugierig und vergnügt die Begrüßung der angekommenen Dame mit an und machten dazu ihre Bemerkungen.
»Die freuen sich aber mal; haben sich gewiß lange nicht gesehen«, meinte der kraushaarige Alte mit dem Baststreifen ums Haar.
»Sieh mal, Onkel Gerasim, den Rapphengst! Der müßte die Garben einführen; das würde flink gehen!«
»Guck mal! Die in Hosen, ist das ein Weibsbild?« sagte einer von ihnen, indem er auf Wasenka Weslowski wies, der sich auf den Damensattel setzte.
»Nee, das ist eine Mannsperson. Sieh nur, wie geschickt er aufgesprungen ist!«
»Na, Kinder, schlafen tun wir nun wohl nicht mehr?«
»Wie werden wir denn jetzt noch schlafen!« sagte der Alte mit einem schrägen Blick nach der Sonne. »Der Mittag ist ja schon vorbei! Nehmt die Sensen, wir wollen uns wieder dranmachen!«
18
A nna betrachtete Dollys mageres, müdes Gesicht, in dessen Falten sich der Staub gesammelt hatte, und wollte schon sagen, was sie dachte, nämlich daß Dolly magerer geworden sei; aber da fiel ihr ein, daß ihre eigene Schönheit noch gewachsen sei und daß auch Dollys Blick ihr dies gesagt habe; so seufzte sie denn und begann von sich selbst zu sprechen.
»Du siehst mich an«, sagte sie, »und überlegst, ob ich in meiner Lage glücklich sein kann. Nun also: ich schäme mich, es zu bekennen; aber ich ... ich fühle mich in einer geradezu unverzeihlichen Weise glücklich. Es ist mir etwas wie Zauberei widerfahren, wie ein Traum, wo einem angst und bange ist und man auf einmal aufwacht und merkt, daß alle diese Schrecknisse gar nicht vorhanden sind. Ich bin aufgewacht; alle Angst und Qual habe ich überstanden und bin nun schon lange, namentlich seit wir hier wohnen, so glücklich, so glücklich! ...« sagte sie und blickte Dolly mit einem Lächeln an, in dem eine schüchterne Frage lag.
»Das freut mich wirklich!« antwortete Dolly lächelnd, aber unwillkürlich in kühlerem Tone, als sie es selbst gewollt hatte. »Es freut mich sehr, daß du dich wohl fühlst. Warum hast du denn gar nicht an mich geschrieben?«
»Warum ich nicht geschrieben habe? Ich habe es nicht gewagt. Du vergißt meine Lage ...«
»An mich? An mich zu schreiben hast du nicht gewagt? Wenn du wüßtest, wie ich ... Ich bin der Ansicht ...«
Darja Alexandrowna wollte die Gedanken aussprechen, die ihr am Vormittag durch den Kopf gegangen waren; aber sie hatte die undeutliche Empfindung, daß das jetzt hier doch nicht am Platze sei.
»Nun, davon ein andermal. Was sind denn das da alles für Gebäude?« fragte sie, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, und wies auf eine Anzahl von roten und grünen Dächern hin, die über grüne lebende Hecken von Akazien und Flieder herüberschauten. »Das ist ja ordentlich
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