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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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berührt von ihrer Höflichkeit, Sauberkeit und Dienstfertigkeit, hatte aber dabei doch eine unbehagliche Empfindung; sie schämte sich vor ihr wegen ihrer geflickten Nachtjacke, die sie unglücklicherweise gerade diesmal aus Versehen eingepackt hatte. Sie schämte sich wegen eben jener Flicken und gestopften Stellen, auf die sie zu Hause so stolz gewesen war. Zu Hause hatte sie sich gesagt, daß zu einem halben Dutzend Nachtjacken vierundzwanzig Ellen Nansok, die Elle zu fünfundsechzig Kopeken, erforderlich seien, und daß das mehr als fünfzehn Rubel austrage, ohne die Verzierung und ohne Macherlohn; diese fünfzehn Rubel hatte sie gespart. Aber dieser Kammerzofe gegenüber hatte sie, wenn sie sich auch nicht eigentlich richtig vor ihr schämte, doch ein unbehagliches Gefühl.
     
    Darja Alexandrowna empfand eine große Erleichterung, als ihre alte Bekannte Annuschka ins Zimmer trat. Die kokette Zofe wurde zu ihrer gnädigen Frau gerufen, und Annuschka blieb bei Darja Alexandrowna.
     
    Sie war über Darja Alexandrownas Ankunft offenbar sehr erfreut und plauderte unermüdlich. Dolly merkte, daß sie die größte Lust hatte, ihre Ansicht über die Stellung ihrer Herrin auszusprechen und namentlich auch über Wronskis Liebe und Ergebenheit zu ihr; aber Dolly unterbrach sie absichtlich jedesmal, sobald sie davon zu reden anfing.
     
    »Ich bin mit Anna Arkadjewna zusammen aufgewachsen; ich liebe und verehre sie über alles. Na, uns steht es ja nicht zu, darüber zu richten. Und dann liebt er sie auch, glaube ich, so sehr ...«
     
    »Also, bitte, gib das zum Waschen, wenn es möglich ist«, unterbrach sie Darja Alexandrowna.
     
    »Wie Sie befehlen. Bei uns sind für die kleine Wäsche zwei besondere Frauen angestellt, und alle Wäsche wird mit der Maschine gewaschen. Der Graf kümmert sich um alles persönlich. Nein, was das für ein Gatte ist ...«
     
    Dolly war froh, als Anna zu ihr hereinkam und durch ihr Kommen dem Geschwätz Annuschkas ein Ende machte.
     
    Anna hatte sich umgekleidet und trug jetzt ein ganz einfaches Batistkleid. Dolly betrachtete dieses einfache Kleid aufmerksam. Sie wußte, was es mit dieser Einfachheit auf sich hatte und wieviel Geld sie kostete.
     
    »Eine alte Bekannte«, sagte Anna, auf Annuschka weisend.
     
    Anna war jetzt nicht mehr befangen, sondern benahm sich völlig ungezwungen und ruhig. Dolly sah, daß sie sich bereits vollständig von der Erregung erholt hatte, in die sie durch ihre Ankunft versetzt worden war; sie hatte jenen oberflächlichen, gleichgültigen Ton angenommen, bei dem gleichsam die Tür zu der Abteilung, wo sich ihre innersten Gefühle und Gedanken befanden, verschlossen blieb.
     
    »Nun, und was macht dein Töchterchen, Anna?« fragte Dolly.
     
    »Anny?« (so nannte sie ihre Tochter). »Sie ist gesund. Sie hat sich sehr herausgemacht. Möchtest du sie sehen? Komm, ich will sie dir zeigen. Ich habe eine schreckliche Not mit den Wärterinnen gehabt«, erzählte sie. »Wir hatten eine italienische Amme genommen. Sie war ja ganz gut, aber dumm, dumm! Wir wollten sie entlassen; aber das Kind hatte sich so an sie gewöhnt, daß wir sie immer noch bei uns haben.«
     
    »Aber wie habt ihr es denn eingerichtet? ...« begann Dolly und wollte fortfahren: ›Welchen Familiennamen wird das kleine Mädchen führen?‹ Aber da bemerkte sie, daß Annas Gesicht sich auf einmal verfinsterte, und so gab sie denn ihrer Frage schnell eine andere Fortsetzung. »Wie habt ihr es denn eingerichtet? Habt ihr sie schon entwöhnt?«
     
    Aber Anna hatte sie verstanden.
     
    »Du wolltest doch nach etwas anderem fragen? Du wolltest nach ihrem Namen fragen, nicht wahr? Das ist ein Schmerz für Alexei. Sie hat keinen Namen. Das heißt, sie ist eine Karenina«, sagte Anna und kniff die Augen so zu, daß nur die sich zusammenschließenden Wimpern zu sehen waren. »Aber« (ihr Gesicht wurde auf einmal wieder hell) »darüber wollen wir später reden. Komm, ich will sie dir zeigen. Elle est très gentille. 1 Sie kriecht schon.«
     
    Der Luxus, den Darja Alexandrowna schon im ganzen Hause angestaunt hatte, überraschte sie im Kinderzimmer noch mehr. Da waren Wägelchen, die Wronski aus England hatte kommen lassen, und Geräte zum Gehenlernen, und ein eigens zum Kriechen eingerichtetes Polster, wie ein Billard aussehend, und Wiegen, und eigentümliche moderne Badewannen. All das war englisches Erzeugnis, zuverlässig und dauerhaft und augenscheinlich sehr kostspielig. Das Zimmer war groß,

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