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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Geh!« sagte sie hastig mit finsterem Gesicht und machte mit der Hand eine Bewegung, daß er weggehen möchte.
     
    Er war schon ins Wohnzimmer gegangen, als auf einmal ein klägliches, aber sofort wieder verstummendes Stöhnen an sein Ohr drang. Er blieb stehen und konnte lange nicht zum Verständnis gelangen.
     
    ›Ja, das war sie‹, sagte er zu sich, griff sich an den Kopf und lief die Treppe hinunter.
     
    »Herr, erbarme dich! Vergib uns, hilf uns!« Er wiederholte ein über das andere Mal diese Worte, die ihm unwillkürlich auf die Lippen kamen. Und trotz seines Unglaubens sprach er diese Worte nicht mit den Lippen allein. Jetzt, in diesem Augenblick, spürte er, daß alle seine Zweifel, ja die Unfähigkeit, deren er sich bewußt war, Glauben und Verstand miteinander zu vereinigen, ihn in keiner Weise hinderten, sich an Gott zu wenden. All das war jetzt wie Staub von seiner Seele hinweggeflogen. An wen sollte er sich denn auch sonst wenden, als an ihn, in dessen Hand, wie er fühlte, er selbst und seine Seele und seine Liebe lag?
     
    Der Wagen war noch nicht bereit; aber da Ljewin seine gesamte körperliche und geistige Kraft mit energischer Anspannung auf das gerichtet fühlte, was er zu besorgen hatte, so ging er, um nur ja keinen Augenblick zu verlieren, ohne auf den Wagen zu warten, zu Fuß und gab Kusma Befehl, ihm nachzufahren.
     
    An der Ecke begegnete er einer in schnellem Tempo fahrenden Nachtdroschke. In dem kleinen Schlitten saß, in einer Samtjacke, ein Tuch um den Kopf gewickelt, Jelisaweta Petrowna. »Gott sei Dank, Gott sein Dank!« sagte er, als er zu seiner größten Freude ihren kleinen Blondkopf erkannte, der jetzt einen eigentümlich ernsten, ja beinahe strengen Ausdruck trug. Ohne den Kutscher anhalten zu lassen, lief er wieder heimwärts neben ihr her.
     
    »Also seit ungefähr zwei Stunden? Noch nicht länger?« fragte sie. »Sie werden Peter Dmitrijewitsch zu Hause treffen; aber Sie brauchen ihn nicht zur Eile anzutreiben. Holen Sie doch auch Opium aus der Apotheke.«
     
    »Also Sie glauben, daß es gut vonstatten gehen kann? Herr, erbarme dich und hilf uns!« sagte Ljewin, der gerade sein Pferd aus dem Torweg herauskommen sah. Er sprang in den Schlitten, setzte sich neben Kusma und hieß ihn zum Arzt fahren.
     

14
     
    D er Arzt war noch nicht aufgestanden, und der Diener erklärte, der Doktor habe sich erst spät hingelegt und verboten, ihn zu wecken; er werde aber wohl bald aufstehen. Der Diener putzte die Lampenzylinder und schien von dieser Arbeit sehr in Anspruch genommen zu sein. Diese Sorgfalt des Dieners für die Lampenzylinder und dessen Gleichgültigkeit gegen das, was sich in seinem, Ljewins, Hause abspielte, setzten Ljewin anfangs in Erstaunen; aber gleich darauf sagte er sich nach kurzer Überlegung, daß ja niemand seine Empfindungen kenne oder zu kennen verpflichtet sei und daß es daher um so nötiger sei, mit Ruhe, Überlegung und Entschiedenheit zu handeln, um in diese Mauer von Gleichgültigkeit Bresche zu legen und zum Ziele zu gelangen.›Nichts überhasten und nichts versäumen!‹ sagte sich Ljewin. Er fühlte, wie seine körperliche und geistige Kraft sich immer energischer auf das richtete, was er zu besorgen hatte.
     
    Als Ljewin hörte, daß der Arzt noch nicht aufgestanden sei, blieb er unter mancherlei Plänen, die ihm in der Eile durch den Kopf gingen, bei folgendem stehen: Kusma sollte mit einem Zettelchen zu einem anderen Arzte laufen, und er selbst wollte nach der Apotheke fahren und das Opium holen, und wenn bei seiner Rückkehr der Arzt immer noch nicht aufgestanden sei, dann wollte er ihn unter allen Umständen wecken, entweder durch Bestechung des Dieners oder, wenn dieser sich nicht darauf einließe, mit Gewalt.
     
    In der Apotheke klebte der hagere Provisor mit derselben Gleichgültigkeit, mit der der Diener seine Lampenzylinder gereinigt hatte, mit Siegelmarken Pülverchen für einen darauf wartenden Kutscher zu; das Opium zu verabreichen, weigerte er sich. Bemüht, nicht die Geduld zu verlieren und nicht hitzig zu werden, nannte ihm Ljewin die Namen des Arztes und der Hebamme, erklärte ihm, wozu er das Opium nötig habe und suchte ihn auf diese Weise zu überreden. Der Provisor fragte nach dem hinter einer niedrigen Zwischenwand gelegenen Raume hin jemand auf deutsch um Rat, ob er das Opium verabfolgen solle, und langte, als er eine bejahende Antwort erhalten hatte, nach einem Fläschchen und einem Trichter, goß langsam aus einer

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