Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
in keiner Weise in Verlegenheit setzen. Er blickte lächelnd bald nach der Feder auf dem Hute der Fürstin, bald zur Seite, als suche er sich auf etwas zu besinnen. Als er eine vorübergehende Dame mit einer Sammelbüchse bemerkte, rief er sie an und tat einen Fünfrubelschein hinein.
»Solange ich Geld in der Tasche habe, kann ich diese Sammelbüchsen nicht ruhig mit ansehen«, bemerkte er dabei. »Aber was sagen Sie zu der heutigen Meldung? Forsche Kerle, diese Montenegriner!«
»Was Sie sagen!« rief er, als die Fürstin ihm mitteilte, daß Wronski mit diesem Zuge fahre. Einen Augenblick drückte Stepan Arkadjewitschs Gesicht Betrübnis und Trauer aus; aber einen Augenblick darauf, als er, seinen Backenbart zurechtstreichend und mit seinem besonderen Gang bei jedem Schritt ein klein wenig aufhüpfend, in das Zimmer trat, in dem Wronski sich befand, da hatte Stepan Arkadjewitsch sein verzweifeltes Schluchzen bei der Leiche seiner Schwester bereits völlig vergessen und sah in Wronski nur den Helden und den alten Freund.
»Trotz all seiner Schwächen muß man ihm doch Gerechtigkeit widerfahren lassen«, sagte die Fürstin zu Sergei Iwanowitsch, sobald Oblonski von ihnen weggegangen war. »Er ist eben eine echt russische, slawische Natur! Ich fürchte nur, daß es Wronski unangenehm sein wird, mit ihm zusammenzutreffen. Man mag sagen, was man will, mich rührt das Schicksal dieses Mannes. Sprechen Sie doch unterwegs mit ihm.«
»Ja, vielleicht, wenn es sich so macht.«
»Ich habe ihn nie gern gemocht. Aber sein jetziges Verhalten macht vieles wieder gut. Er geht jetzt nicht nur selbst hin, sondern nimmt auch eine ganze Schwadron mit, die er auf seine Kosten ausgerüstet hat.«
»Ja, ich habe davon gehört.«
Die Glocke wurde angeschlagen. Alle drängten sich zur Tür.
»Da ist er«, sagte die Fürstin und deutete auf Wronski, der, in einem langen Überzieher und mit einem schwarzen, breitkrempigen Hute, seine Mutter am Arm führend, vorüberkam. Neben ihm ging Oblonski und sprach lebhaft auf ihn ein.
Wronski blickte mit finsterer Miene vor sich hin, als wenn er auf das, was Stepan Arkadjewitsch sagte, gar nicht hinhörte.
Wahrscheinlich von Oblonski aufmerksam gemacht, wandte er seine Augen nach der Seite, wo die Fürstin und Sergei Iwanowitsch standen, und lüftete schweigend den Hut. Sein gealtertes Gesicht, das den Ausdruck tiefen Leides trug, sah wie versteinert aus.
Nachdem Wronski und seine Mutter auf den Bahnsteig hinausgetreten waren, ließ er zuerst schweigend seine Mutter einsteigen und verschwand dann selbst im Wagen.
Auf dem Bahnsteig wurde gesungen: »Gott erhalte den Zaren«; dann ertönten die Rufe: »Hurra!« und »Zivio!« Einer der Freiwilligen, ein hochaufgeschossener, sehr junger Mensch mit eingesunkener Brust, machte sich beim Abschiednehmen ganz besonders bemerkbar, indem er seinen Filzhut und einen Blumenstrauß über seinem Kopfe schwenkte. Hinter ihm beugten sich zwei Offiziere und ein schon bejahrter Mann mit großem Barte und schmieriger Uniformmütze aus dem Fenster heraus und grüßten gleichfalls zum Abschied.
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1 (frz.) die kleinen Beschwerlichkeiten des menschlichen Lebens.
3
N achdem Sergei Iwanowitsch sich von der Fürstin verabschiedet hatte, stieg er mit Katawasow, der sich wieder zu ihm gesellt hatte, in einen überfüllten Wagen ein, und der Zug setzte sich in Bewegung.
Auf der Station Zarizün wurde der Zug von einer Anzahl junger Männer empfangen, die in wohltönendem Chorgesange »Sei stolz« sangen. Wieder beugten sich die Freiwilligen aus dem Fenster und grüßten; aber Sergei Iwanowitsch schenkte ihnen weiter keine Aufmerksamkeit: er hatte mit Freiwilligen schon so viel zu tun gehabt, daß er ihr gemeinsames Wesen zur Genüge kannte und solche Bilder ihn nicht mehr fesselten. Katawasow dagegen, der bei seinen vielen gelehrten Arbeiten keine Gelegenheit gehabt hatte, die Freiwilligen aus der Nähe zu beobachten, beschäftigte sich sehr mit ihnen und erkundigte sich eingehend über sie bei Sergei Iwanowitsch.
Sergei Iwanowitsch riet ihm, zu ihnen in die zweite Klasse zu gehen und selbst mit ihnen zu reden. Auf der nächsten Station befolgte Katawasow diesen Rat.
Er begab sich in den Wagen zweiter Klasse und suchte die Freiwilligen kennenzulernen. Sie saßen in einer Ecke des Abteils, unterhielten sich sehr laut und waren sich offenbar dessen bewußt, daß die Aufmerksamkeit der
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