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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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damals gesagt –, ich weiß nicht, auf wessen Seite die größeren
    Chancen waren. Warum bist du nicht energisch vorgegangen? Ich sagte dir damals, daß ...« Er gähnte, aber nur mit
    den Kinnbacken, ohne den Mund zu öffnen.
    ›Weiß er's oder weiß er's nicht, daß ich ihr einen Antrag gemacht habe?‹ dachte Ljewin, der ihn aufmerksam
    ansah. ›Ja, es liegt ein so schlauer, diplomatischer Ausdruck auf seinem Gesicht.‹ Er fühlte, wie er errötete,
    blickte aber schweigend dem anderen gerade in die Augen.
    »Wenn damals auf ihrer Seite eine Hinderung bestand, so war diese durch die starke Wirkung eines blendenden
    Äußeren herbeigeführt worden«, fuhr Oblonski fort. »Dieses vollendete aristokratische Wesen, weißt du, und die
    zukünftige glänzende Stellung in der Gesellschaft sind zwar nicht bei ihr, wohl aber bei der Mutter stark in die
    Waagschale gefallen.«
    Ljewin machte ein finsteres Gesicht. Das Gefühl der Kränkung über die ihm widerfahrene Abweisung fing wie eine
    frische, soeben empfangene Wunde von neuem in seinem Herzen an zu brennen. Aber er war bei sich zu Hause, und man
    pflegt zu sagen: ›Zu Hause helfen einem die Wände.‹
    »Halt, warte mal«, unterbrach er Oblonski. »Du sagst: aristokratisches Wesen; aber gestatte mir die Frage: Worin
    besteht dieses aristokratische Wesen bei Wronski oder bei sonst jemandem, ich meine ein aristokratisches Wesen von
    der Art, daß es dem Betreffenden ein Recht gäbe, mich gering zu achten? Du hältst Wronski für einen Aristokraten,
    ich bin anderer Ansicht. Ein Mensch, dessen Vater aus unbedeutender Lebensstellung durch Ränke und Schliche
    emporgestiegen ist, dessen Mutter, Gott weiß, mit wem, Liebschaften gehabt hat, – Nein, nimm mir's nicht übel, für
    einen Aristokraten halte ich mich selbst und Leute von meiner Art, die auf drei, vier ehrenhafte Generationen von
    Vorfahren in der Vergangenheit zurückweisen können, von Vorfahren, die sich auf der höchsten Stufe der Bildung
    ihrer Zeit befunden haben (Begabung und Verstand, das ist eine andere Sache), sich nie vor jemand erniedrigt haben
    und sich nie auf anderer Leute Hilfe angewiesen sahen, so wie mein Vater und mein Großvater gelebt haben. Und
    solcher Männer kenne ich viele. Dir erscheint es unwürdig, daß ich die Bäume im Walde zähle, und du schenkst an
    diesen Rjabinin sechzigtausend Rubel weg; aber du empfängst ein Gehalt, und ich weiß nicht, was sonst noch alles,
    und ich empfange dergleichen nicht, und darum schätze ich das, was ich ererbt und das, was ich mit meiner Arbeit
    erworben habe. – Wir sind die wahren Aristokraten und nicht jene Leute, die nur von den Gnadengeschenken leben
    können, die ihnen die Mächtigen dieser Welt zukommen lassen, jene Leute, die für ein Zwanzigkopekenstück käuflich
    sind.«
    »Aber gegen wen kämpfst du eigentlich an? Ich für meine Person bin ja ganz mit dir einverstanden«, erwiderte
    Stepan Arkadjewitsch durchaus aufrichtig und höchst vergnügt, obwohl er herausfühlte, daß Ljewin unter den Leuten,
    die für ein Zwanzigkopekenstück käuflich seien, auch ihn selbst mit verstand. Ljewins Lebhaftigkeit hatte ihm
    wirklich gefallen. »Mit wem streitest du? Es ist zwar von dem, was du über Wronski gesagt hast, vieles nicht
    zutreffend, aber darüber will ich jetzt nicht reden. Ich sage dir nur geradeheraus: Ich an deiner Stelle würde
    jetzt mit nach Moskau fahren und ...«
    »Nein, ich weiß nicht, ob es dir bekannt ist oder nicht; aber meinetwegen magst du es wissen, mir ganz gleich,
    und ich will es dir selbst sagen: Ich habe einen Antrag gemacht und einen Korb bekommen, und Katerina Alexandrowna
    ist für mich jetzt weiter nichts mehr als eine schmerzliche, peinliche Erinnerung.«
    »Wieso denn? Dummes Zeug!«
    »Wir wollen nicht weiter darüber sprechen. Bitte, entschuldige, wenn ich grob gegen dich gewesen bin«, sagte
    Ljewin. Jetzt, nachdem er sich alles vom Herzen geredet hatte, wurde er wieder derselbe, der er am Morgen gewesen
    war. »Du bist doch nicht böse auf mich, Stiwa? Bitte, sei mir nicht böse!« bat er und ergriff lächelnd des anderen
    Hand.
    »Aber nein, ganz und gar nicht; dazu wäre ja auch gar kein Grund. Ich freue mich, daß wir uns miteinander
    ausgesprochen haben. Und weißt du, morgens pflegt der Schnepfenstrich gut zu sein. Wollen wir nicht noch einmal
    hinfahren? Ich würde dann eben auf den Morgenschlaf verzichten und gleich von der Jagd nach der Station
    fahren.«
    »Ausgezeichnet!«

18
    Obgleich

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