Anna Karenina
Abteilung viertausend Rubel haben. Die zweite Abteilung, im Betrage von achttausend
Rubeln, umfaßte Schul den, die minder wichtig erschienen. Das waren hauptsächlich Schulden an den Rennstall, an den
Lieferanten von Hafer und Heu, an den Engländer, an den Sattler und so weiter. Für diese Schulden mußte er
gleichfalls ungefähr zweitausend Rubel zur Verfügung haben, um ganz ruhig sein zu können. Die letzte Abteilung,
Schulden bei Kaufleuten, in Gaststätten und beim Schneider, verdiente nicht, daß er sich um sie Gedanken machte.
Somit brauchte er mindestens sechstausend Rubel für die laufenden Ausgaben; aber er hatte nur
eintausendachthundert. Einem Manne mit hunderttausend Rubeln jährlich (denn so hoch wurde Wronskis Einkommen
allgemein geschätzt) konnten solche Schulden anscheinend keine Schwierigkeiten bereiten; aber die Sache war die,
daß er diese hunderttausend Rubel jährlich bei weitem nicht hatte. Das gewaltige väterliche Vermögen, das allein
gegen zweihunderttausend Rubel Jahreseinnahme brachte, war zwischen den beiden Brüdern nicht geteilt worden. Als
nun der ältere Bruder, der eine tüchtige Menge Schulden hatte, die Prinzessin Warja Tschirkowa, die ganz
vermögenslose Tochter eines Dekabristen, geheiratet hatte, da hatte Alexei ihm die gesamte Einnahme von dem
väterlichen Gute überlassen und sich nur fünfundzwanzigtausend Rubel jährlich ausbedungen. Alexei hatte damals zu
seinem Bruder gesagt, diese Summe würde für ihn ausreichend sein, solange er sich nicht verheiratete, was aller
Wahrscheinlichkeit nach nie geschehen werde. Und sein Bruder, der eines der teuersten Regimenter befehligte und
sich soeben verheiratet hatte, war gezwungen gewesen, dieses Geschenk anzunehmen. Die Mutter, die eigenes Vermögen
besaß, gab ihrem jüngeren Sohne zu den ausbedungenen fünfundzwanzigtausend Rubeln noch zwanzigtausend jährlich
dazu, und Alexei hatte bisher das alles verbraucht. In der letzten Zeit aber hatte seine Mutter, die ihm wegen
seiner Beziehungen zu Frau Karenina und wegen seiner Abreise aus Moskau grollte, ihm kein Geld mehr geschickt. Da
sich Wronski bereits an eine Lebenshaltung gewöhnt gehabt hatte, bei der er fünfundvierzigtausend Rubel jährlich
ausgab, und in diesem Jahre nur fünfundzwanzigtausend Rubel erhielt, so befand er sich jetzt infolgedessen in einer
schwierigen Lage. Seine Mutter um Geld zu bitten, um aus dieser Lage herauszukommen, war unmöglich. Ihr letzter
Brief, der ihm tags zuvor zugegangen war, hatte ihn gerade dadurch gereizt, daß die Mutter darin andeutete, sie sei
gern bereit, ihn durch eine Beihilfe auf dem Wege zu Erfolgen in der Gesellschaft und im Dienste zu fördern, aber
nicht, ihm dadurch ein Leben zu ermöglichen, über das die ganze gute Gesellschaft entrüstet sei. Dieser Versuch,
ihn zu erkaufen, beleidigte ihn in tiefster Seele und erkältete sein Empfinden gegen die Mutter noch mehr. Das
großmütige Zugeständnis aber, das er seinem Bruder gemacht hatte, konnte er nicht gut wieder rückgängig machen,
obgleich er jetzt mancherlei Zwischenfälle, die sein Verhältnis zu Frau Karenina zur Folge haben konnte, dunkel
vorausahnte und sich sagte, daß jenes großmütige Zugeständnis eine Handlung des Leichtsinns gewesen sei und daß er
auch als Unverheirateter sämtliche hunderttausend Rubel Jahreseinnahme möglicherweise nötig haben werde. Aber das
Getane wieder rückgängig zu machen, war unmöglich. Er brauchte nur an die Frau seines Bruders zu denken, brauchte
nur daran zu denken, wie diese liebe, prächtige Warja bei jeder geeigneten Gelegenheit ihm gegenüber hervorhob, daß
sie seiner großmütigen Handlungsweise eingedenk sei und sie zu schätzen wisse, um sich über die Unmöglichkeit
klarzuwerden, das einmal Hingegebene wieder zurückzufordern. Das war ebenso unmöglich, wie eine Frau zu schlagen
oder zu stehlen oder zu lügen. Es gab nur ein mögliches und darum auch notwendiges Mittel, zu dem sich Wronski denn
auch, ohne einen Augenblick zu schwanken, entschloß: von einem Geldverleiher Geld, zehntausend Rubel, zu borgen,
was keine Schwierigkeiten haben konnte, seine Ausgaben in jeder Hinsicht einzuschränken und seine Rennpferde zu
verkaufen. Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, schrieb er sofort ein paar Zeilen an Rolandaki, der sich schon
mehrmals an ihn mit dem Vorschlage gewendet hatte, er wolle ihm seine Pferde abkaufen. Darauf ließ er den Engländer
und einen Geldverleiher zu sich
Weitere Kostenlose Bücher