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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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sie mit mir leben soll. Bin ich dazu
    imstande und bereit? Wie soll ich sie jetzt von hier wegführen, da ich kein Geld habe? Allerdings, das würde ich ja
    einrichten können ... Aber wie kann ich sie von hier wegführen, da ich im Dienst bin? Indes, da ich es gesagt habe,
    so muß ich auch bereit sein, es zu tun, das heißt, ich muß Geld beschaffen und den Abschied nehmen‹.
    Und er versank in Nachdenken. Die Frage, ob er den Abschied nehmen solle oder nicht, führte ihn auf eine andere,
    geheime, ihm allein bekannte Aufgabe seines ganzen Lebens, die aber, wiewohl er es vor anderen verbarg, ihm doch
    fast das Wichtigste von allem war.
    Der Ehrgeiz war eine alte Zukunftsphantasie seiner Kindheit und seines Jünglingsalters gewesen, eine
    Zukunftsphantasie, die er nicht einmal sich selbst eingestand, die aber so stark war, daß sogar jetzt diese
    Leidenschaft mit seiner Liebe rang. Seine ersten Schritte im gesellschaftlichen Leben und im Dienste waren
    erfolgreich gewesen; aber vor zwei Jahren hatte er einen groben Fehler begangen: in dem Wunsche, seine
    Unabhängigkeit zu zeigen und infolgedessen mit besonderer Schnelligkeit vorwärts zu rücken, hatte er eine ihm
    angebotene Stellung abgelehnt, da er gehofft hatte, diese Ablehnung werde seinen Wert noch größer erscheinen
    lassen; indessen hatte sich herausgestellt, daß er da denn doch zu kühn gewesen war; man hatte ihn nun da gelassen,
    wo er war. Und da er nun einmal halb mit Willen, halb wider Willen die Rolle des unabhängigen Mannes für sich
    geschaffen hatte, so führte er sie auch weiter durch, indem er sich in sehr feiner, kluger Weise so benahm, als ob
    er auf niemand böse sei, sich von niemand für beleidigt halte und weiter nichts wünsche, als in Ruhe gelassen zu
    werden, da er sich ganz behaglich fühle. In Wirklichkeit aber hatte er schon im vorigen Jahre, als er nach Moskau
    reiste, aufgehört, sich behaglich zu fühlen. Er fühlte, daß man diese unabhängige Stellung eines Mannes, der sich
    benehme, als könne er alles vollbringen und erreichen und wolle es nur nicht, schon mit eigentümlichen Blicken zu
    betrachten anfing, daß viele zu denken begannen, sein Können reiche wohl nicht weiter als dazu, ein ehrlicher,
    braver Kerl zu sein. Sein Verhältnis zu Frau Karenina, das so viel Lärm machte und die allgemeine Aufmerksamkeit
    auf ihn lenkte, hatte durch den neuen Glanz, den es ihm verlieh, den an ihm nagenden Wurm des Ehrgeizes für einige
    Zeit beruhigt; aber vor einer Woche war dieser Wurm mit neuer Kraft erwacht. Sein Spielkamerad aus der Kinderzeit,
    Serpuchowskoi, der demselben Gesellschaftskreise angehörte wie er, sein Mitschüler im Pagenkorps gewesen war, mit
    ihm zu gleicher Zeit abgegangen war und mit dem er in der Klasse und im Turnen und bei mutwilligen Streichen und in
    ehrgeizigen Träumereien gewetteifert hatte, der war dieser Tage aus Mittelasien zurückgekehrt, nachdem er dort um
    zwei Stellen aufgerückt war und eine Ordensauszeichnung erhalten hatte, wie sie so jungen Generalen selten
    verliehen wird.
    Sobald er nach Petersburg gekommen war, begann man von ihm wie von einem neu aufsteigenden Sterne erster Größe
    zu sprechen. Ein Altersgenosse und Schulkamerad Wronskis, war er doch schon General und sah der Ernennung auf einen
    Posten entgegen, wo er Einfluß auf den Gang der Staatsangelegenheiten haben konnte; Wronski dagegen war zwar ein
    unabhängiger, vielbewunderter, von einem reizenden Weibe geliebter Mann, aber doch immer nur ein Rittmeister, dem
    man es überließ, unabhängig zu sein, soviel ihm nur irgend beliebte. ›Selbstverständlich beneide ich Serpuchowskoi
    nicht und habe keinen Anlaß, ihn zu beneiden; aber seine Beförderung ist mir ein Beweis, daß man nur den richtigen
    Zeitpunkt abzuwarten braucht, dann kann ein Mann wie ich schnell vorwärtskommen. Vor drei Jahren war er noch in
    derselben Stellung wie ich. Nehme ich den Abschied, so verbrenne ich meine Schiffe hinter mir. Bleibe ich im
    Dienst, so verliere ich nichts. Sie hat selbst gesagt, daß sie ihre Lage nicht zu verändern wünscht. Und im Besitze
    ihrer Liebe kann ich. Serpuchowskoi nicht beneiden.‹ Und mit langsamen Bewegungen seinen Schnurrbart drehend, stand
    er vom Tische auf und ging im Zimmer auf und ab. Seine Augen glänzten besonders hell, und er fühlte sich in jener
    festen, ruhigen, frohen Gemütsstimmung, die sich bei ihm immer einstellte, wenn er über seine Lage zur Klarheit
    gelangt war. Alles war, ganz wie bei

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