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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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ganze ihr so vertraute vornehme Getriebe,
    alles dies war eine Luft, in der sich leicht atmen ließ; dort aber stand ihr so Schweres bevor, daß sie einen
    Augenblick unschlüssig war, ob sie nicht bleiben und den schrecklichen Augenblick der Aussprache noch verschieben
    sollte. Aber als sie daran dachte, was ihrer zu Hause wartete, wenn sie, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben, dort
    wieder allein wäre, als sie an die ihr noch in der Erinnerung furchtbare Gebärde dachte, wie sie sich mit beiden
    Händen in die Haare gefaßt hatte, da verabschiedete sie sich und fuhr weg.

19
    Obgleich Wronski dem Anschein nach das leichtsinnige Dasein eines Lebemannes führte, war er doch ein
    entschiedener Feind der Unordnung. Als er noch ganz jung, noch im Pagenkorps war, hatte er das peinliche Erlebnis
    gehabt, daß er in Geldklemme geriet, borgen wollte und eine abschlägige Antwort erhielt, und seit jener Zeit hatte
    er sich sorgsam davor gehütet, wieder in eine ähnliche Lage zu kommen. Um seine Angelegenheiten immer in Ordnung zu
    halten, setzte er sich etwa fünfmal im Jahre, je nach den Umständen häufiger oder seltener, ganz allein hin und
    brachte alle seine Angelegenheiten ins klare. Er nannte das »große Wäsche veranstalten« oder faire la lessive.
    Am Tage nach dem Rennen wachte Wronski erst spät auf; ohne sich rasiert und ein Bad genommen zu haben, zog er
    seine Litewka an, ordnete auf dem Tische seinen Barbestand, die Rechnungen und allerlei Briefe und machte sich an
    die Arbeit. Petrizki wußte, daß er bei dieser Beschäftigung gewöhnlich sehr reizbar war; als er daher beim
    Aufwachen den Kameraden am Schreibtisch erblickte, kleidete er sich still an und ging, ohne ihn zu stören,
    hinaus.
    Jeder, der die ganze Schwierigkeit der ihn umgebenden Verhältnisse bis in die kleinsten Einzelheiten kennt, ist
    unwillkürlich der Ansicht, daß die Schwierigkeit dieser Verhältnisse und die Möglichkeit ihrer Entwirrung eine
    zufälligerweise nur ihn persönlich betreffende Besonderheit sei, und kann sich gar nicht denken, daß andere Leute
    in ebenso verwickelten persönlichen Verhältnissen stecken wie er selbst. Diese Anschauung hatte auch Wronski. Und
    nicht ohne geheimen Stolz und nicht ohne Grund sagte er sich, daß jeder andere wohl schon längst in Verwirrung
    geraten wäre und sich zu irgendwelchem unschönen Verfahren genötigt gesehen hätte, wenn er sich in so schwierigen
    Verhältnissen befunden hätte. Aber Wronski fühlte, daß es gerade jetzt für ihn ein Ding der Notwendigkeit sei, eine
    Abrechnung vorzunehmen und seine Lage klarzustellen, um nicht in Verlegenheit zu geraten.
    Zuerst nahm Wronski die Geldangelegenheiten als das Leichteste vor. Auf einem Bogen Briefpapier verzeichnete er
    mit seiner kleinen Schrift alles, was er schuldig war, zählte es zusammen und fand, daß er siebzehntausend und
    einige hundert Rubel schuldete; die Hunderte strich er weg, um klarere Rechnung zu haben. Nachdem er sein Bargeld
    und sein Guthaben in seinem Bankbuche zusammengerechnet hatte, erhielt er das Ergebnis, daß er noch
    eintausendachthundert Rubel besaß; eine Einnahme stand vor Neujahr nicht in Aussicht. Noch einmal zählte er das
    Verzeichnis seiner Schulden durch und schrieb es dann ab, indem er es in drei Abteilungen zerlegte. In die erste
    Abteilung kamen die Schulden, die sofort bezahlt werden mußten oder zu deren Bezahlung er in jedem Falle Geld ohne
    weiteres zur Hand haben mußte, damit im Falle einer Zahlungsforderung keine auch nur einen Augenblick dauernde
    Verzögerung einträte. Die Schulden dieser Art beliefen sich ungefähr auf viertausend Rubel: tausendfünfhundert
    Rubel für das Pferd und zweitausendfünfhundert Rubel Bürgschaft für den jungen Kameraden Wenewski, der in Wronskis
    Gegenwart dieses Geld an einen Falschspieler verloren hatte. Wronski hatte damals diese Summe sofort bezahlen
    wollen, da er sie gerade bei sich hatte; aber Wenewski und Jaschwin hatten darauf bestanden, sie wollten es
    baldigst selbst bezahlen, und Wronski, der gar nicht am Spiele teilgenommen hatte, solle das nicht tun. Das war ja
    sehr schön und edel; aber Wronski wußte, daß er in dieser schmutzigen Sache, obgleich er an ihr nur insofern
    beteiligt war, als er sich mündlich für Wenewski verbürgt hatte, unbedingt diese zweitausendfünfhundert Rubel haben
    mußte, um sie dem Gauner hinzuwerfen und weiterer Auseinandersetzungen mit ihm überhoben zu sein. Somit mußte er
    für diese erste, wichtigste

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