Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
nichts erklärt
    werden; das verwirrt im Gegenteil die Sache nur noch mehr. Nein, sagen Sie selbst, wie kann die Lehre von der Rente
    ...«
    »Möchten Sie nicht etwas saure Milch? Mascha, laß uns doch saure Milch bringen oder auch Himbeeren«, wandte er
    sich an seine Frau. »Die Himbeeren halten sich in diesem Jahre merkwürdig lange.«
    Damit stand Swijaschski in der vergnügtesten Stimmung auf und trat von Ljewin weg; er war offenbar der Meinung,
    daß das Gespräch an diesem Punkte beendet sei, während es nach Ljewins Ansicht gerade hier erst anfing.
    Da ihn sein bisheriger Gesprächsgenosse verlassen hatte, so setzte Ljewin die Unterhaltung mit dem Gutsbesitzer
    fort und bemühte sich, ihm zu beweisen, daß die ganze Schwierigkeit daher komme, daß wir vor den Eigenheiten und
    Gewohnheiten des Arbeiters unsere Augen verschließen. Aber der Gutsbesitzer war wie alle selbständigen, einsamen
    Denker schwerfällig im Auffassen fremder Gedanken und zu sehr in seine eigenen verliebt. Er blieb eigensinnig
    dabei, der russische Bauer sei ein Vieh und habe diesen viehischen Zustand gerne, und um ihn aus diesem viehischen
    Zustande herauszubringen, seien Machtmittel erforderlich; aber die seien nicht vorhanden. Was nötig sei, sei der
    Stock; aber wir seien so liberal geworden, daß wir statt der seit tausend Jahren bestehenden Prügelstrafe auf
    einmal Anwälte und Gefängnishaft eingeführt hätten, wobei man die nichtsnutzigen, stinkenden Bauern mit guter Suppe
    füttere und ausrechne, wieviel Kubikfuß Luft sie brauchten.
    »Warum meinen Sie«, sagte Ljewin in dem Bestreben, auf das Thema zurückzukommen, »daß es unmöglich ist, ein
    solches Verhältnis zu den Arbeitskräften ausfindig zu machen, daß dabei die Arbeit nutzbringend wird?«
    »Das wird sich mit dem russischen Landvolke nie erreichen lassen. Wir haben keine Machtmittel«, antwortete der
    Gutsbesitzer.
    »Wie könnten wir denn überhaupt noch neue Verhältnisse ausfindig machen?« fragte Swijaschski, der einen Teller
    saure Milch gegessen, sich eine Zigarette angezündet hatte und nun wieder zu den Disputierenden trat. »Alle nur
    denkbaren Verhältnisse zu den Arbeitskräften sind wissenschaftlich bestimmt und studiert worden«, sagte er. »Jenes
    Überbleibsel der Barbarei, die urzeitliche Gemeinde mit gegenseitiger Bürgschaft, zerfällt von selbst; die
    Leibeigenschaft ist aufgehoben; so bleibt nur die freie Arbeit übrig, und deren Formen sind genau festgelegt und
    fix und fertig, und die müssen wir annehmen. Knecht, Tagelöhner, Pächter – über diese Möglichkeiten werden Sie
    nicht hinauskommen.«
    »Aber Europa ist mit diesen Formen unzufrieden.«
    »Das ist richtig, und man sucht dort nach neuen. Und man wird auch wahrscheinlich welche finden.«
    »Davon rede ich ja auch nur!« versetzte Ljewin. »Warum sollen wir nicht auch unsrerseits danach suchen?«
    »Weil das ganz dasselbe wäre, wie wenn wir Systeme für den Eisenbahnbau neu erfinden wollten. Die sind schon
    erfunden und fix und fertig.«
    »Aber wenn sie nun für uns nicht passen, wenn sie töricht sind?« wandte Ljewin ein.
    Und wieder bemerkte er in Swijaschskis Augen jenen Ausdruck von Angst.
    »Ja, ja, so ist das: wir werden den Vogel abschießen; wir werden das herausbekommen, wonach Europa noch sucht!
    Ich kenne das alles; aber entschuldigen Sie, kennen Sie wohl Ihrerseits alles, was in Europa in der Frage der
    Arbeiterorganisation geschehen ist?«
    »Nein, nur mangelhaft.«
    »Die Frage beschäftigt jetzt die besten Köpfe in ganz Europa. Zum Beispiel die Schulze-Delitzsch-Richtung ...
    Und dann diese gewaltige Literatur über die Arbeiterfrage von der allerfortschrittlichsten Lassalleschen Richtung
    ... Die Mülhäuser Organisation ist ja schon zur wirklichen Tatsache geworden; Sie wissen gewiß davon.«
    »Ich habe eine Vorstellung davon, indes nur eine sehr unklare.«
    »Ach, das sagen Sie nur so; Sie wissen sicherlich mit allen diesen Dingen nicht weniger Bescheid als ich. Ich
    bin ja natürlich kein Professor der Sozialwissenschaften; aber die ganze Sache hat mich sehr interessiert, und
    wirklich, wenn Sie sich dafür interessieren, so werden Sie guttun, sich genauer damit zu beschäftigen.«
    »Aber zu welchem Ergebnis ist man denn gelangt?«
    »Verzeihung ...«
    Die Gutsbesitzer waren aufgestanden, und Swijaschski begleitete seine Gäste hinaus; so hatte er Ljewin wieder
    nicht zum Ziele kommen lassen, als dieser nach seiner häßlichen Gewohnheit versucht hatte,

Weitere Kostenlose Bücher