Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
bereit hatte,
    die dessen Darlegungen mit einem Schlage zunichte gemacht hätte, daß er aber mit Rücksicht auf seine Stellung als
    Wirt und Adelsmarschall diese Antwort unterdrückte und mit innerer Heiterkeit die komischen Auslassungen des
    Gutsbesitzers mit anhörte.
    Der Gutsbesitzer mit dem grauen Schnurrbart war offenbar ein hartnäckiger Verteidiger der Leibeigenschaft, ein
    eingefleischter Landbewohner und leidenschaftlicher Landwirt. Kennzeichen dafür erblickte Ljewin sowohl in seiner
    Kleidung, einem altmodischen, abgescheuerten Oberrock, der seinem Träger sichtlich etwas Ungewohntes war, wie auch
    in seinen klugen, streng blickenden Augen und in seiner bündigen, rein russischen Ausdrucksweise und in dem
    befehlenden Tone, den er offenbar durch lange Gewohnheit angenommen hatte, und an den entschiedenen Bewegungen der
    großen, schönen, von der Sonne verbrannten Hände mit einem alten Trauringe am Goldfinger.

27
    »Wenn es mir nur nicht leid täte, alles, was ich mir eingerichtet habe, aufzugeben – es steckt eine gehörige
    Menge Arbeit darin –, so würde ich die ganze Geschichte hinwerfen, alles verkaufen und ins Ausland reisen, wie
    unser Nikolai Iwanowitsch hier ... um ›Die schöne Helena‹ zu hören«, sagte der Gutsbesitzer mit einem angenehmen
    Lächeln, das seinem klugen, alten Gesichte einen hellen Schein verlieh.
    »Aber Sie geben es doch nicht auf«, erwiderte Nikolai Iwanowitsch Swijaschski, »folglich muß doch ein Vorteil
    dabei sein.«
    »Der einzige Vorteil besteht darin, daß ich in einem altererbten Hause wohne, das ich mir weder gekauft noch
    gemietet habe. Und dann hofft man doch immer noch, daß das Volk endlich einmal zur Vernunft kommt. Aber so, wie es
    jetzt ist – es ist kaum zu glauben, diese Trunksucht, diese Liederlichkeit! ... Alle sind sie infolge der
    Wirtschaftsteilungen auf den Hund gekommen; da ist kein Pferd, keine Kuh zu finden. So ein Bauer krepiert beinah
    vor Hunger; aber nun nehmen Sie den Menschen einmal als Arbeiter an: zuerst verdirbt er Ihnen alles mögliche, und
    dann verklagt er Sie noch beim Friedensrichter.«
    »Sie können ihn ja Ihrerseits auch beim Friedensrichter verklagen«, bemerkte Swijaschski.
    »Ich soll ihn verklagen? Um keinen Preis! Das gibt ein Gerede, so daß man von der Klage keine Freude hat! Sehen
    Sie nur den Fall neulich in der Fabrik: die Leute haben das Handgeld genommen und sind einfach davongegangen. Und
    was hat der Friedensrichter getan? Freigesprochen hat er sie. Alles wird nur noch durch das Gemeindegericht und den
    Dorfschulzen in Ordnung gehalten. Der läßt so einen Kerl einfach nach altem Brauch durchpeitschen. Wenn das nicht
    noch wäre, dann könnte man nur gleich einpacken und sich davonmachen!«
    Es war offenbar, daß der Gutsbesitzer Swijaschski reizen wollte; aber dieser ärgerte sich nicht, sondern
    belustigte sich vielmehr nur über diese Reden.
    »Na, aber wir führen doch unsere Wirtschaft ohne derartige Maßregeln«, versetzte er lächelnd. »Ich meine mich
    und Ljewin und unsern Nachbar hier.«
    Er wies auf den andern Gutsbesitzer.
    »Ja, bei Michail Petrowitsch geht es ja noch so einigermaßen; aber fragen Sie ihn nur, wie. Ist das etwa eine
    rationelle Wirtschaft?« sagte der Gutsbesitzer; er prunkte augenscheinlich mit dem Worte »rationell«.
    »Meine Wirtschaft ist sehr einfach«, versetzte Michail Petrowitsch. »Dafür danke ich meinem Gotte. Meine
    Wirtschaft zielt nur darauf hin, daß das Geld für die Steuern im Herbst bereit daliegt. Aber die Bauern, die kein
    Geld für die Steuern haben, kommen dann und bitten: ›Väterchen, liebes Väterchen, hilf uns aus der Not!‹ Na, die
    Leute sind ja sämtlich meine Nachbarn; da tun sie einem denn leid, und da gibt man ihnen das Geld für das erste
    Jahresdrittel, sagt ihnen aber dabei: ›Vergeßt nicht, Kinder, daß ich euch geholfen habe; nun müßt ihr mir aber
    auch helfen, wenn's nötig ist, beim Hafersäen oder beim Heuen oder bei der Getreideernte.‹ Na, und da setzt man
    gleich fest, wieviel Mann aus jeder Familie zur Arbeit kommen sollen. Gewissenlose Menschen gibt es dann allerdings
    auch unter diesen, das ist richtig.«
    Ljewin, dem diese patriarchalischen Gebräuche längst bekannt waren, wechselte einen Blick mit Swijaschski und
    unterbrach Michail Petrowitsch, indem er sich wieder an den Gutsbesitzer mit dem grauen Schnurrbart wandte.
    »Also wie denken Sie nun darüber?« fragte er. »Wie muß man jetzt seine Wirtschaft führen?«
    »So

Weitere Kostenlose Bücher