Anna Karenina
wie Michail Petrowitsch! Man kann ja auch die Bauern die Arbeit für die Hälfte des Ertrages verrichten
lassen oder auch ihnen das Land in Pacht geben; gewiß, das geht auch; nur wird gerade dadurch der allgemeine
Wohlstand des Staates vernichtet. Während mein Land früher bei Bearbeitung durch Leibeigene und bei guter
Bewirtschaftung das Neunfache brachte, bringt es jetzt bei Bearbeitung auf Halbpart nur das Dreifache. Die
Gleichberechtigung der Bauern hat Rußland zugrunde gerichtet!«
Swijaschski blickte Ljewin mit lächelnden Augen an und machte ihm sogar ein ganz leises, spöttisches Zeichen;
aber Ljewin fand die Worte des Gutsbesitzers gar nicht lächerlich; er hatte für sie ein besseres Verständnis als
für Swijaschskis Standpunkt. Vieles von dem, was der Gutsbesitzer noch weiter sagte, um zu beweisen, daß die
Gleichberechtigung der Bauern Rußlands Verderb sei, war ihm neu und erschien ihm durchaus richtig und
unwiderlegbar. Der Gutsbesitzer sprach offenbar, was so selten vorkommt, Gedanken aus, die in seinem eigenen Kopfe
entstanden waren, und zu diesen Gedanken war er nicht etwa durch den Wunsch geleitet worden, den müßigen Geist mit
irgend etwas zu beschäftigen, sondern sie waren aus den Erfahrungen des Lebens erwachsen, das er in seiner
ländlichen Einsamkeit verbracht und nach allen Richtungen durchdacht hatte.
»Sehen Sie«, sagte er, sichtlich bestrebt, zu zeigen, daß er eine gute Bildung besitze, »die Sache ist die, daß
jeder Fortschritt nur von der autoritativen Macht bewerkstelligt wird. Nehmen Sie die Reformen Peters, Katharinas,
Alexanders! Nehmen Sie die Geschichte Europas! Und ganz besonders gilt das für die Fortschritte auf dem Gebiete der
Landwirtschaft. Zum Beispiel die Kartoffeln – auch die sind bei uns nur mit Gewalt eingeführt worden. Auch mit dem
Hakenpflug hat man ja nicht immer gepflügt; auch der ist erst eingeführt worden, vielleicht zur Zeit der
Teilfürsten, aber sicherlich nur mit Gewalt. Jetzt zu unserer Zeit haben wir Gutsbesitzer, als noch die
Leibeigenschaft bestand, unsere Wirtschaft mit den modernen Vervollkommnungen geführt; die Trockenböden und die
Worfelmaschinen und das Düngerfahren und alle landwirtschaftlichen Geräte, alles haben wir kraft unserer höheren
Stellung eingeführt, und die Bauern haben sich anfangs widersetzt, nachher aber es uns nachgemacht. Jetzt nun ist
uns bei der Aufhebung der Leibeigenschaft diese Macht genommen worden, und so muß nun auch unser Wirtschaftsbetrieb
überall, wo er eine hohe Stufe erreicht hatte, wieder zu dem ursprünglichen Zustande schlimmster Unkultur
hinabsinken. So fasse ich das auf.«
»Aber weshalb denn nur?« entgegnete Swijaschski. »Wenn Ihr Wirtschaftsbetrieb rationell ist, so können Sie ihn
auch unter Anwendung des Mietsystems durchführen.«
»Dazu fehlt mir die Macht. Gestatten Sie die Frage: Mit was für Leuten soll ich meine Wirtschaft führen?«
›Da haben wir's!‹ dachte Ljewin. ›Die Arbeitskraft, das ist der Angelpunkt der Landwirtschaft‹.
»Mit Arbeitern.«
»Die Arbeiter wollen nicht gut arbeiten und nicht mit guten Geräten. Unsere Arbeiter verstehen nur eins: sich
viehisch zu betrinken und alles, was man ihnen in die Hände gibt, zugrunde zu richten. Die Pferde richten sie
zugrunde, indem sie sie in erhitztem Zustande tränken; das gute Pferdegeschirr zerreißen sie; die frisch
beschienten Räder vertauschen sie gegen andere und vertrinken den Ertrag; in die Dreschmaschine lassen sie einen
Deichselnagel hineinfallen, um sie entzweizumachen. Alles, was nicht nach ihrem Geschmacke ist, ist ihnen ein
Greuel. Infolgedessen ist die ganze Landwirtschaft gesunken. Weite Felder liegen unbebaut und überziehen sich mit
Wermut; oder sie sind an die Bauern verpachtet, und wo früher eine Million Tschetwert erzeugt wurde, erzeugen diese
jetzt nur einige Hunderttausend. Der allgemeine Wohlstand ist gesunken. Ja, wenn man dasselbe getan hätte, aber mit
mehr Überlegung ...«
Und er begann seinen eigenen Plan einer Bauernbefreiung zu entwickeln, bei dessen Befolgung nach seiner Ansicht
diese Übelstände vermieden worden wären.
Das interessierte Ljewin nicht; aber als der Redende mit seinen Auseinandersetzungen fertig war, kehrte Ljewin
zu der ersten Behauptung zurück, die jener aufgestellt hatte. Um Swijaschski dazu zu veranlassen, seine wirkliche
Meinung auszusprechen, wandte sich Ljewin an diesen und sagte:
»Daß die Bedeutung der Landwirtschaft
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