Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
wie Michail Petrowitsch! Man kann ja auch die Bauern die Arbeit für die Hälfte des Ertrages verrichten
    lassen oder auch ihnen das Land in Pacht geben; gewiß, das geht auch; nur wird gerade dadurch der allgemeine
    Wohlstand des Staates vernichtet. Während mein Land früher bei Bearbeitung durch Leibeigene und bei guter
    Bewirtschaftung das Neunfache brachte, bringt es jetzt bei Bearbeitung auf Halbpart nur das Dreifache. Die
    Gleichberechtigung der Bauern hat Rußland zugrunde gerichtet!«
    Swijaschski blickte Ljewin mit lächelnden Augen an und machte ihm sogar ein ganz leises, spöttisches Zeichen;
    aber Ljewin fand die Worte des Gutsbesitzers gar nicht lächerlich; er hatte für sie ein besseres Verständnis als
    für Swijaschskis Standpunkt. Vieles von dem, was der Gutsbesitzer noch weiter sagte, um zu beweisen, daß die
    Gleichberechtigung der Bauern Rußlands Verderb sei, war ihm neu und erschien ihm durchaus richtig und
    unwiderlegbar. Der Gutsbesitzer sprach offenbar, was so selten vorkommt, Gedanken aus, die in seinem eigenen Kopfe
    entstanden waren, und zu diesen Gedanken war er nicht etwa durch den Wunsch geleitet worden, den müßigen Geist mit
    irgend etwas zu beschäftigen, sondern sie waren aus den Erfahrungen des Lebens erwachsen, das er in seiner
    ländlichen Einsamkeit verbracht und nach allen Richtungen durchdacht hatte.
    »Sehen Sie«, sagte er, sichtlich bestrebt, zu zeigen, daß er eine gute Bildung besitze, »die Sache ist die, daß
    jeder Fortschritt nur von der autoritativen Macht bewerkstelligt wird. Nehmen Sie die Reformen Peters, Katharinas,
    Alexanders! Nehmen Sie die Geschichte Europas! Und ganz besonders gilt das für die Fortschritte auf dem Gebiete der
    Landwirtschaft. Zum Beispiel die Kartoffeln – auch die sind bei uns nur mit Gewalt eingeführt worden. Auch mit dem
    Hakenpflug hat man ja nicht immer gepflügt; auch der ist erst eingeführt worden, vielleicht zur Zeit der
    Teilfürsten, aber sicherlich nur mit Gewalt. Jetzt zu unserer Zeit haben wir Gutsbesitzer, als noch die
    Leibeigenschaft bestand, unsere Wirtschaft mit den modernen Vervollkommnungen geführt; die Trockenböden und die
    Worfelmaschinen und das Düngerfahren und alle landwirtschaftlichen Geräte, alles haben wir kraft unserer höheren
    Stellung eingeführt, und die Bauern haben sich anfangs widersetzt, nachher aber es uns nachgemacht. Jetzt nun ist
    uns bei der Aufhebung der Leibeigenschaft diese Macht genommen worden, und so muß nun auch unser Wirtschaftsbetrieb
    überall, wo er eine hohe Stufe erreicht hatte, wieder zu dem ursprünglichen Zustande schlimmster Unkultur
    hinabsinken. So fasse ich das auf.«
    »Aber weshalb denn nur?« entgegnete Swijaschski. »Wenn Ihr Wirtschaftsbetrieb rationell ist, so können Sie ihn
    auch unter Anwendung des Mietsystems durchführen.«
    »Dazu fehlt mir die Macht. Gestatten Sie die Frage: Mit was für Leuten soll ich meine Wirtschaft führen?«
    ›Da haben wir's!‹ dachte Ljewin. ›Die Arbeitskraft, das ist der Angelpunkt der Landwirtschaft‹.
    »Mit Arbeitern.«
    »Die Arbeiter wollen nicht gut arbeiten und nicht mit guten Geräten. Unsere Arbeiter verstehen nur eins: sich
    viehisch zu betrinken und alles, was man ihnen in die Hände gibt, zugrunde zu richten. Die Pferde richten sie
    zugrunde, indem sie sie in erhitztem Zustande tränken; das gute Pferdegeschirr zerreißen sie; die frisch
    beschienten Räder vertauschen sie gegen andere und vertrinken den Ertrag; in die Dreschmaschine lassen sie einen
    Deichselnagel hineinfallen, um sie entzweizumachen. Alles, was nicht nach ihrem Geschmacke ist, ist ihnen ein
    Greuel. Infolgedessen ist die ganze Landwirtschaft gesunken. Weite Felder liegen unbebaut und überziehen sich mit
    Wermut; oder sie sind an die Bauern verpachtet, und wo früher eine Million Tschetwert erzeugt wurde, erzeugen diese
    jetzt nur einige Hunderttausend. Der allgemeine Wohlstand ist gesunken. Ja, wenn man dasselbe getan hätte, aber mit
    mehr Überlegung ...«
    Und er begann seinen eigenen Plan einer Bauernbefreiung zu entwickeln, bei dessen Befolgung nach seiner Ansicht
    diese Übelstände vermieden worden wären.
    Das interessierte Ljewin nicht; aber als der Redende mit seinen Auseinandersetzungen fertig war, kehrte Ljewin
    zu der ersten Behauptung zurück, die jener aufgestellt hatte. Um Swijaschski dazu zu veranlassen, seine wirkliche
    Meinung auszusprechen, wandte sich Ljewin an diesen und sagte:
    »Daß die Bedeutung der Landwirtschaft

Weitere Kostenlose Bücher