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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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willst ihn auf einem
    Gebiete anwenden, wo er gar nicht hinpaßt.«
    »Aber ich sage dir ja, daß mein Unternehmen mit dem Sozialismus nichts gemein hat. Die Sozialisten leugnen die
    Berechtigung des Eigentums, des Kapitals, der Erbfolge; ich aber verwerfe diesen wichtigsten Ansporn menschlicher
    Tätigkeit nicht (es war ihm selbst widerwärtig, daß er solche Ausdrücke gebrauchte; aber seit er sich so eifrig der
    Arbeit an seiner Abhandlung widmete, hatte er unwillkürlich angefangen, immer häufiger nichtrussische Worte zu
    verwenden), ich will nur die Arbeit regeln.«
    »Das ist es eben; du hast einen fremden Gedanken aufgegriffen, ihm alles das genommen, was seine eigentliche
    Kraft ausmacht, und möchtest einem nun einreden, das sei etwas Neues«, versetzte Nikolai und zerrte ärgerlich an
    seiner Krawatte.
    »Aber mein Gedanke hat ja gar nichts gemein ...«
    »Beim Kommunismus«, fuhr Nikolai mit ironischem Lächeln fort, und seine Augen blitzten dabei recht boshaft,
    »beim Kommunismus kann man wenigstens an dem Reize der Klarheit und Zweifellosigkeit seine Freude haben, ich möchte
    sagen, so ähnlich wie bei der Mathematik. Mag sein, daß das Ganze ein Hirngespinst ist. Aber nehmen wir einmal an,
    es wäre möglich, mit der ganzen Vergangenheit reinen Tisch zu machen, das Eigentum, die Familie aufzuheben: dann
    würde sich auch die Arbeit regeln lassen. Aber bei dir ist ja gar nichts ...«
    »Warum rührst du meinen Gedanken mit dem Kommunismus zusammen? Ich bin nie Kommunist gewesen.«
    »Aber ich bin einer gewesen und finde, daß der Kommunismus zwar verfrüht, aber doch etwas Verständiges ist und
    eine Zukunft hat; er befindet sich in derselben Lage wie das Christentum in den ersten Jahrhunderten.«
    »Ich meine ja auch nur, man muß die Arbeitskraft vom naturwissenschaftlichen Gesichtspunkte aus betrachten, das
    heißt sie studieren, ihre Eigenschaften bestimmen und ...«
    »Ach was, das ist ganz zwecklos. Diese Kraft findet ganz von selbst, nach dem Maße ihrer Entwickelung, eine
    bestimmte Form, in der sie sich betätigt. Überall hat es Sklaven gegeben, dann später métayers 1 ; auch bei uns gibt es die Halbpartarbeit, es gibt die Pacht, es
    gibt die Tagelöhnerarbeit; wonach suchst du eigentlich noch weiter?«
    Bei diesen Worten seines Bruders geriet Konstantin plötzlich in Hitze, weil er in tiefster Seele fürchtete, daß
    jener recht habe und daß er, Konstantin, wirklich nur so eine Art Mittelding zwischen Kommunismus und
    festbestimmten Formen schaffen wolle – und daß das kaum möglich sei.
    »Ich suche nach Mitteln, die Arbeit sowohl für mich als auch für den Arbeiter gewinnbringend zu machen. Es liegt
    mir daran, eine Organisation zu schaffen ...«, antwortete er in starker Erregung.
    »Es liegt dir gar nicht daran, eine Organisation zu schaffen. Du willst einfach, wie du das dein ganzes Leben
    lang getan hast, dich als Original hinstellen und zeigen, daß du die Bauern nicht in kunstloser Weise, sondern nach
    einem bestimmten Systeme ausbeuten kannst.«
    »Nun, wenn du das glaubst, dann gib dich nicht weiter mit mir ab!« antwortete Konstantin; er fühlte, wie sein
    linker Backenmuskel unhemmbar zuckte.
    »Du hast nie Überzeugungen gehabt und hast auch jetzt keine; du willst nur deiner Eitelkeit frönen.«
    »Ausgezeichnet! Dann gib dich nicht weiter mit mir ab!«
    »Ich will mich auch nicht weiter mit dir abgeben! Dumm von mir, daß ich es so lange getan habe! Hol dich der
    Teufel! Es tut mir nur leid, daß ich überhaupt hergekommen bin!«
    Konstantin gab sich nachher die größte Mühe, seinen Bruder wieder zu beruhigen; aber Nikolai wollte nichts
    hören; er sagte, es wäre schon das beste, wenn er wieder wegführe, und Konstantin sah, daß seinem Bruder das Leben
    schon geradezu eine unerträgliche Pein war.
    Nikolai hatte bereits alles zur Abreise zurechtgemacht, als Konstantin noch einmal zu ihm trat und ihn in
    gezwungen klingendem Ton um Verzeihung bat, wenn er ihn irgendwie gekränkt habe.
    »Sieh mal, wie großmütig.« erwiderte Nikolai lächelnd. »Wenn du gern recht haben möchtest, so kann ich dir ja
    dieses Vergnügen machen. Also du hast recht; aber abreisen tue ich trotzdem!«
    Erst unmittelbar vor der Abreise küßte Nikolai seinen Bruder, sah ihn auf einmal mit seltsam ernstem Blicke an
    und sagte: »Trotz alledem, Konstantin, gedenke meiner nicht im bösen!« Seine Stimme zitterte.
    Das waren die einzigen Worte, die er in wirklich herzlichem Tone gesprochen

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