Anna Karenina
bekreuzt hatte, übergab er wieder Kitty den großen und Ljewin den kleinen Ring; aber wieder richteten die
Verlobten Unordnung an; die Ringe wanderten zweimal aus einer Hand in die andere, und es kam trotzdem nicht das
heraus, was verlangt wurde.
Dolly, Tschirikow und Stepan Arkadjewitsch traten vor, um ihnen behilflich zu sein. Es gab nun einige
Verlegenheit, ein Flüstern und Lächeln; aber der feierlich gerührte Ausdruck auf den Gesichtern der Verlobten blieb
unverändert; im Gegenteil, während sie mit den Händen Verwirrung anrichteten, blickten sie noch ernster und
feierlicher drein als vorher, und das Lächeln, mit dem ihnen Stepan Arkadjewitsch zuflüsterte, jetzt möge jeder
seinen eigenen Ring anstecken, erstarb ihm unwillkürlich auf den Lippen. Er fühlte, daß jetzt jedes Lächeln für sie
etwas Verletzendes habe.
»Denn Du hast von Anbeginn her erschaffen das männliche Geschlecht und das weibliche«, las der Geistliche nach
dem Wechsel der Ringe, »und von Dir wird dem Manne das Weib beigesellt zur Hilfe und zur Erhaltung des
Menschengeschlechtes. Herr, unser Gott, der Du die Wahrheit und Deine Verheißung gesandt hast zu Deinem Erbe, zu
Deinen Knechten, unseren Vätern, von Geschlecht zu Geschlecht, Deinen Auserwählten, blicke Du selbst auf Deinen
Knecht Konstantin und auf Deine Magd Jekaterina und befestige ihren Bund im Glauben, und in der Einmütigkeit, und
in der Wahrheit, und in der Liebe ...«
Ljewin kam immer mehr und mehr zu der Empfindung, daß alle seine Gedanken über die Ehe, seine Träumereien
darüber, wie er sein Leben gestalten wolle, daß das alles kindisch gewesen sei und daß die Ehe etwas sei, was er
bisher nicht begriffen habe und jetzt noch weniger zu begreifen vermöge, obwohl es sich an ihm selbst vollziehe.
Ein Zittern stieg ihm in der Brust immer höher und höher, und Tränen, die sich nicht wollten zurückhalten lassen,
traten ihm in die Augen.
5
Ganz Moskau war in der Kirche, Verwandte und Bekannte. Während der Verlobungsfeierlichkeiten wurde in der
glänzend beleuchteten Kirche in dem großen Schwarm der geputzten verheirateten Damen und jungen Mädchen sowie der
Herren in Frack und weißer Binde und in Uniform ununterbrochen in angemessen leisem Tone eine Unterhaltung geführt,
vorzugsweise von den Herren, während die Damen vollauf damit zu tun hatten, alle Einzelheiten der heiligen Handlung
zu beobachten, die ihnen ja immer so nahegeht.
In dem Kreise, der die Braut am nächsten umgab, standen ihre beiden Schwestern: Dolly, die älteste, und Frau
Lwowa, die sich aus dem Auslande eingefunden hatte, eine ruhige Schönheit.
»Was soll das nur vorstellen, daß Marja in einem lila Kleid – es sieht schon mehr schwarz aus – zur Hochzeit
gekommen ist?« sagte Frau Korsunskaja.
»Bei ihrer Hautfarbe ist das für sie die einzige Rettung ...«, antwortete Frau Drubezkaja. »Ich wundere mich,
warum die Hochzeit am Abend stattfindet. Das ist doch sonst eigentlich nur in Kaufmannskreisen üblich.«
»Es ist hübscher so. Ich bin auch am Abend getraut worden«, versetzte Frau Korsunskaja mit einem Seufzer, in
Erinnerung daran, wie allerliebst sie an jenem Tage ausgesehen hatte, und wie lächerlich verliebt ihr Mann damals
in sie gewesen war, und wie alles jetzt so ganz anders war.
»Es heißt, wer zehnmal Brautführer gewesen ist, heiratet nicht mehr; ich wollte es gern hier zum zehnten Male
sein, um mich zu feien; aber die Stelle war bereits besetzt«, sagte Graf Sinjawin zu der hübschen Prinzessin
Tscharskaja, die Absichten auf ihn hatte.
Die junge Dame antwortete ihm nur mit einem Lächeln. Sie sah Kitty an und dachte, wie und wann sie wohl mit dem
Grafen Sinjawin ebenso dastehen werde wie Kitty und wie sie ihn dann an seinen jetzigen Scherz erinnern werde.
Der junge Schtscherbazki sagte zu dem ältlichen Hoffräulein Nikolajewa, er beabsichtige, die Krone auf Kittys
Chignon zu setzen, damit sie in der Ehe glücklich werde.
»Einen Chignon sollte sie eigentlich heute überhaupt nicht tragen«, antwortete Fräulein Nikolajewa, die mit sich
selbst schon längst darüber schlüssig war, daß, wenn der alte Witwer, nach dem sie angelte, sie heiraten würde, die
Hochzeit in ganz einfacher Form gefeiert werden sollte. »Ich bin keine Freundin eines solchen Prunkes.«
Sergei Iwanowitsch sprach mit Marja Dmitrijewna und behauptete im Scherz, die Sitte, nach der Hochzeit
wegzureisen, breite sich deswegen immer mehr aus, weil die
Weitere Kostenlose Bücher