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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Neuvermählten sich immer ein bißchen schämten.
    »Ihr Bruder kann stolz sein. Sie ist ganz allerliebst. Ich denke mir, Sie beneiden ihn.«
    »Ich bin schon über das Heiratsalter hinaus, Marja Dmitrijewna«, antwortete er, und sein Gesicht nahm auf einmal
    einen ernsten, traurigen Ausdruck an.
    Stepan Arkadjewitsch trug seiner Schwägerin seinen Witz über die Ehescheidung vor.
    »Der Kranz müßte ihr zurechtgerückt werden«, antwortete sie; sie hatte gar nicht auf ihn hingehört.
    »Wie schade, daß sie heute so wenig gut aussieht«, sagte die Gräfin Northstone zu Frau Lwowa. »Aber er ist doch
    nicht soviel wert wie ihr kleiner Finger, nicht wahr?«
    »Nicht doch, mir gefällt er sehr gut; und ich sage das nicht nur, weil er mein zukünftiger beau-frère ist«,
    erwiderte Frau Lwowa. »Und wie gut er sich hält! Und dabei ist es doch schwer, sich in solcher Lage gut zu halten,
    nicht lächerlich zu werden. Aber an ihm ist nichts Lächerliches, nichts Gemachtes; man sieht, daß er mit dem Herzen
    dabei ist.«
    »Sie hatten es wohl erwartet, daß diese Partie zustande kommen werde?«
    »Einigermaßen; sie hat ihn von jeher geliebt.«
    »Nun, wir wollen nachher einmal aufpassen, wer von ihnen zuerst auf den Teppich tritt. Ich habe Kitty daran
    erinnert.«
    »Das ist doch ganz gleichgültig«, versetzte Frau Lwowa. »Wir sind ja sämtlich gehorsame Ehefrauen; das liegt nun
    einmal in unserer Natur.«
    »Als ich Wasili heiratete, bin ich absichtlich zuerst daraufgetreten. Nun, und Sie, Dolly?«
    Dolly stand neben ihnen und hörte, was sie redeten, antwortete aber nicht. Sie war gerührt. Die Tränen standen
    ihr in den Augen, und sie hätte nichts sagen können, ohne loszuweinen. Sie hatte ihre Freude an Kitty und Ljewin;
    mit ihren Gedanken kehrte sie zu ihrer eigenen Hochzeit zurück und blickte ab und zu nach ihrem strahlenden Stepan
    Arkadjewitsch; sie hatte die ganze Gegenwart vergessen und dachte nur an die Zeit ihrer ersten, unschuldigen Liebe.
    Und sie verweilte mit ihren Erinnerungen nicht nur bei sich selbst, sondern bei allen Frauen, die ihr nahestanden
    oder mit ihr bekannt waren; sie erinnerte sich an sie, wie sie bei jener für sie alle einzigartigen Feier, geradeso
    wie Kitty, den Brautkranz im Haar dagestanden hatten, Liebe, Hoffnung und Bangigkeit im Herzen, von der
    Vergangenheit sich lossagend und in eine geheimnisvolle Zukunft eintretend. Und unter all diesen Bräuten, die ihr
    ins Gedächtnis kamen, erinnerte sie sich auch an ihre liebe Anna, über deren in Aussicht stehende Scheidung sie
    kürzlich Näheres gehört hatte. Auch diese hatte einstmals ebenso reinen Herzens mit dem Kranze von Orangenblüten
    und dem Schleier dagestanden. Und jetzt? ›Furchtbar und unfaßbar!‹ sagte sie vor sich hin.
    Und nicht allein die Schwestern, die übrigen Verwandten und die Freundinnen beobachteten aufmerksam alle
    Einzelheiten der heiligen Handlung; auch die fremden Frauen, die sich zum Zuschauen eingefunden hatten, verfolgten
    den Hergang in einer Erregung, die ihnen fast den Atem benahm, und fürchteten, es könnte ihnen irgendeine Bewegung,
    irgendein Gesichtsausdruck an dem Bräutigam und der Braut entgehen; und wenn die gleichmütigeren Männer scherzhafte
    oder fremdartige Bemerkungen machten, so gaben sie ärgerlich keine Antwort oder hörten oft auch gar nicht hin.
    »Warum mag sie denn so verweint aussehen? Ob sie ihn ungern heiratet?«
    »Wie wird sie denn so einen hübschen jungen Menschen ungern heiraten! Er ist wohl ein Fürst, was?«
    »Und die in weißem Atlas, das ist ihre Schwester? Nun hör nur, wie der Protodiakon brüllt: ›Sie soll ihrem Manne
    untertan sein‹.«
    »Sind es die Sänger vom Tschudow-Kloster?«
    »Nein, die Synodischen.«
    »Ich habe mich bei einem Lakaien erkundigt. Es heißt, er nimmt sie gleich mit sich auf sein Stammgut. Er soll ja
    furchtbar reich sein. Darum hat er sie auch gekriegt.«
    »Aber nein, es ist wirklich ein hübsches Paar.«
    »Und da haben Sie nun bestritten, Marja Wasiljewna, daß die Reifröcke frei abstehend getragen werden! ... Und
    sehen Sie mal die im Plüschkleid, es soll die Frau eines Gesandten sein, wie ihr Kleid gerafft ist, erst so und
    dann noch einmal so.«
    »Nein, diese niedliche kleine Braut, wie ein geschmücktes Lämmchen! Da kann man nun sagen, was man will, aber
    uns Frauen tut so ein Mädchen doch immer leid.«
    Solche Reden wurden in dem dichten Haufen der Zuschauerinnen geführt, die es fertiggebracht hatten, durch

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