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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Händen.
    Ljewin küßte behutsam Kittys lächelnde Lippen, reichte ihr den Arm und ging, indem er sich in neuer,
    eigenartiger Weise ihr nahe fühlte, aus der Kirche. Er glaubte nicht, konnte nicht glauben, daß das alles
    Wirklichkeit war. Nur wenn seine und ihre verwunderten, schüchternen Blicke einander trafen, nur dann glaubte er
    daran, weil er fühlte, daß sie beide schon eins waren.
    Nach dem Hochzeitsessen fuhr das junge Paar noch in derselben Nacht nach dem Gute.

7
    Wronski und Anna reisten schon seit drei Monaten zusammen in Europa umher. Sie hatten Venedig, Rom und Neapel
    besucht und waren soeben im Hotel einer kleineren italienischen Stadt angekommen, wo sie eine Zeitlang sich
    aufzuhalten gedachten.
    Der schöne Oberkellner, durch dessen dichtes, wohlpomadisiertes Haar sich ein vom Nacken anfangender Scheitel
    zog, im Frack und mit breiter, weißer, batistner Hemdbrust, mit einem ganzen Bündel Berlocken auf dem rundlichen
    Bauche, hatte die Hände in den Taschen und kniff geringschätzig die Augen zusammen, während er einem vor ihm
    stehenden Herrn in wenig höflichem Tone eine Antwort gab. Als er aber von der andern Seite, vom Eingang her,
    Schritte vernahm, die die Treppe heraufkamen, wandte er sich um, und sobald er den russischen Grafen erblickte, der
    bei ihnen im Hotel die besten Zimmer inne hatte, nahm er ehrerbietig die Hände aus den Taschen und meldete in
    vorgebeugter Haltung, der Kurier sei dagewesen, und die Angelegenheit mit dem Mieten eines Palazzos sei in Ordnung
    gebracht. Der Intendant sei bereit, den Vertrag zu unterzeichnen.
    »Ah, das ist mir sehr angenehm«, antwortete Wronski. »Ist die gnädige Frau zu Hause?«
    »Die gnädige Frau war spazierengegangen, ist aber jetzt bereits zurückgekehrt«, erwiderte der Oberkellner.
    Wronski nahm den weichen, breitkrempigen Hut vom Kopf und fuhr sich mit dem Taschentuch über die schweißbedeckte
    Stirn und über das Haar, das er sich halb über die Ohren hatte wachsen lassen, aber zurückgekämmt trug, damit es
    seine Glatze verdeckte. Mit einem zerstreuten Blick auf den Herrn, der noch dastand und ihn aufmerksam betrachtete,
    wollte er vorbeigehen.
    »Der Herr ist Russe und hat nach Ihnen gefragt«, berichtete der Oberkellner.
    Mit einem Gefühl, in dem sich der Ärger darüber, daß man doch nirgends seinen Bekannten entgehen könne, mit dem
    Wunsche vermischte, irgendwelche Zerstreuung in der Einförmigkeit seines Lebens zu erhalten, blickte Wronski noch
    einmal nach dem Herrn hin, der zur Seite getreten und dort stehengeblieben war. Und in ein und demselben Augenblick
    leuchteten die Augen des einen wie des andern auf.
    »Golenischtschew!«
    »Wronski!«
    Es war wirklich Golenischtschew, Wronskis ehemaliger Kamerad im Pagenkorps. Golenischtschew hatte im Korps zur
    Fortschrittspartei gehört; er hatte das Korps mit einem Zivilrang verlassen, aber nirgends ein Amt übernommen. Mit
    dem Abgang aus dem Korps hatten die wechselseitigen Beziehungen der beiden Kameraden aufgehört, und sie waren
    nachher nur noch einmal zusammengetroffen.
    Bei jener Begegnung hatte Wronski gemerkt, daß Golenischtschew sich ein hochgeistiges Wirken für die liberalen
    Ideen zur Lebensaufgabe gemacht hatte und infolgedessen geneigt war, auf Wronskis Beruf und Tätigkeit mit
    Geringschätzung herabzublicken. Daher hatte Wronski bei jener Begegnung mit Golenischtschew sich gegen ihn mit der
    kalten, stolzen Zurückhaltung benommen, die er Leuten dieser Art gegenüber zum Ausdruck zu bringen verstand und
    deren Sinn dieser war: ›Ihr könnt meine Art zu leben billigen oder mißbilligen; haltet das, wie ihr wollt; mir ist
    es völlig gleichgültig. Wollt ihr aber mit mir verkehren, so müßt ihr mich achten.‹ Golenischtschew seinerseits
    hatte diesem Tone Wronskis gegenüber eine geringschätzige Gleichgültigkeit gezeigt. Man hätte meinen sollen, diese
    Begegnung hätte sie einander noch mehr entfremden müssen. Und doch leuchteten jetzt ihre Gesichter auf, und sie
    stießen einen Ruf freudiger Überraschung aus, als sie einander erkannten. Wronski hätte nie geglaubt, daß er sich
    über ein Wiedersehen mit Golenischtschew so freuen könnte; aber er war sich wohl selbst nicht klar darüber
    geworden, wie sehr er sich in Wirklichkeit langweilte. Den unangenehmen Eindruck ihres letzten Zusammenseins
    vergessend, streckte er seinem früheren Kameraden mit offener, froher Miene die Hand entgegen. Und der gleiche
    Ausdruck von Freude trat auf

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