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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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andere Fortsetzung. »Wie habt ihr es denn eingerichtet? Habt ihr sie schon
    entwöhnt?«
    Aber Anna hatte sie verstanden.
    »Du wolltest doch nach etwas anderem fragen? Du wolltest nach ihrem Namen fragen, nicht wahr? Das ist ein
    Schmerz für Alexei. Sie hat keinen Namen. Das heißt, sie ist eine Karenina«, sagte Anna und kniff die Augen so zu,
    daß nur die sich zusammenschließenden Wimpern zu sehen waren. »Aber« (ihr Gesicht wurde auf einmal wieder hell)
    »darüber wollen wir später reden. Komm, ich will sie dir zeigen. Elle est très gentille. 1 Sie kriecht schon.«
    Der Luxus, den Darja Alexandrowna schon im ganzen Hause angestaunt hatte, überraschte sie im Kinderzimmer noch
    mehr. Da waren Wägelchen, die Wronski aus England hatte kommen lassen, und Geräte zum Gehenlernen, und ein eigens
    zum Kriechen eingerichtetes Polster, wie ein Billard aussehend, und Wiegen, und eigentümliche moderne Badewannen.
    All das war englisches Erzeugnis, zuverlässig und dauerhaft und augenscheinlich sehr kostspielig. Das Zimmer war
    groß, sehr hoch und hell.
    Als sie eintraten, saß die Kleine im bloßen Hemdkleidchen auf einem Sesselchen am Tische und nahm ihr aus einer
    Suppe bestehendes Mittagsmahl ein, womit sie sich ihre ganze kleine Brust begossen hatte. Ein russisches Mädchen,
    das für die Kinderstube angestellt war, fütterte die Kleine und aß offenbar selbst mit ihr zusammen. Weder die
    italienische Amme noch die englische Wärterin waren anwesend; sie befanden sich im anstoßenden Zimmer, und daher
    hörte man ihr Gespräch, das in einem seltsamen Französisch geführt wurde, die einzige Art, wie sie sich miteinander
    verständigen konnten.
    Als sie Annas Stimme hörte, trat die Engländerin, eine vornehm gekleidete große Person mit einem unangenehmen
    Gesicht und wenig vertrauenerweckendem Ausdruck, hastig ihre blonden Locken zurückschüttelnd, in die Tür und begann
    sich sogleich zu entschuldigen, obwohl ihr Anna gar keinen Vorwurf gemacht hatte. Auf jede Bemerkung Annas
    antwortete sie eilig ein paarmal hintereinander: »Yes, Mylady.«
    Das kleine Mädchen mit seinen schwarzen Augenbrauen und dem dunklen Haar, seiner gesunden Gesichtsfarbe und
    seinem kräftigen Körperchen mit der rosigen Haut gefiel Darja Alexandrowna sehr, trotz der finsteren Miene, mit der
    es das ihm neue Gesicht betrachtete; das gesunde Aussehen des Kindes erregte sogar ihren Neid. Auch die Art, wie es
    kroch, fand Darja Alexandrownas Beifall. Keines ihrer Kinder war so gekrochen. Diese Kleine bot, als sie auf den
    Teppich gesetzt und ihr hinten das Kleidchen aufgeschürzt war, einen allerliebsten Anblick. Mit ihren glänzenden,
    schwarzen Augen blickte sie wie ein kleines Tierchen die Erwachsenen an, lächelte und war offenbar über die ihr
    zuteil werdende Bewunderung erfreut; dann hielt sie die Beine seitwärts, stemmte sich energisch auf die Arme, zog
    ihren ganzen Hinterkörper flink heran und griff hierauf wieder mit den Ärmchen nach vorn aus.
    Aber der allgemeine Ton in der Kinderstube und namentlich die Engländerin erregten Darja Alexandrownas starkes
    Mißfallen. Nur daraus, daß in eine so gesetzwidrige Familie wie die Annas eine wirklich gute englische Wärterin
    wohl nicht eingetreten wäre, vermochte Darja Alexandrowna es sich zu erklären, daß Anna bei ihrer Menschenkenntnis
    eine so unsympathische, wenig ansehnliche Engländerin für ihr Töchterchen hatte nehmen können. Außerdem merkte
    Darja Alexandrowna sogleich nach ein paar Worten, daß Anna, die Amme, die Wärterin und das Kind keine rechte
    Fühlung miteinander hatten und daß der Besuch der Mutter hier etwas Ungewöhnliches war. Anna wollte der Kleinen ein
    bestimmtes Spielzeug reichen, konnte es aber nicht finden.
    Das Erstaunlichste aber war, daß Anna bei der Frage, wieviel Zähne die Kleine schon habe, sich irrte und von den
    beiden letzten Zähnen gar nichts wußte.
    »Es ist mir manchmal recht schmerzlich, daß ich hier sozusagen überflüssig bin«, sagte sie, als sie mit Dolly
    aus dem Kinderzimmer wieder hinausging und ihre Schleppe in die Höhe hob, um an den Spielsachen, die bei der Tür
    lagen, vorbeizukommen. »Bei dem ersten Kinde war das anders.«
    »Ich dachte, im Gegenteil«, erwiderte Darja Alexandrowna schüchtern.
    »O nein! Du weißt wohl, ich habe ihn wiedergesehen, meinen Sergei«, sagte Anna und kniff die Augen zu, als ob
    sie nach etwas weit Entferntem blickte. »Indessen, davon reden wir später noch. Du glaubst gar nicht,

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