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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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nicht ausschließen, dass es bereits durch Annas Decke tropfte. Was, wie die Putzfrau bestätigte, der Fall war. »Du bist doch versichert?«, fragte Sibylle, als sie anrief, diesmal nicht in eigener Sache. Anna, die ihr Handy im Büro aufgeladen hatte, saß vor einem der Cafés an der Place du Grand Sablón und hatte die Tür von Lieblings Wohnhaus im Visier. Sie aß Gaufres, Waffeln aus Eierkuchenteig mit Schokoladensauce, die auf einfache Weise trösteten. Dazu trank sie Kaffee, um sich wach zu halten. Nein, sie war nicht versichert. Weil sie es zeit ihres Lebens abgelehnt hatte, das Kleingedruckte zu lesen. Nun, das hatte sie jetzt davon. »Es tropft nur ein bisschen«, beruhigte Sibylle und erwähnte ein paar Wasserflecken an der Decke. Der formidable Archie kenne einen Kunstmaler, der das für einen Spottpreis richten könne. Anna war nicht dankbar, auch wenn sie das Angebot annahm und versprach, mit der nächsten Maschine zu kommen.
    Sie aß die Waffeln in Ruhe zu Ende. Hoffte, dass David und Helena aus dem Haus kommen würden, solange sie da war. Ein glücklicher Zufall war das, was sie brauchte nach diesem Tag, doch Wunder geschehen nicht in Serie. Maßlos war Anna, schließlich war zumindest ein Gebet erhört worden. Nicht, dass Alicia sich für ihre Rettung dankbar zeigte. Sie wandte den Kopf ab, als Anna an ihrem Bett stand, als ob sie sich dafür schämte, mit dem Leben nicht fertig geworden zu sein.
    Es war eine dieser Situationen, in denen Sekunden Endlosschleifen ziehen. In denen auch Anna nicht einfiel, was sie sagen sollte. Unvorstellbar zäh, das Schweigen, und sie meinte zu hören, wie die Flüssigkeit aus dem Tropf in Alicias Vene sickerte. Sie blieb nur kurz und drückte Alicias Hand, bevor sie ging. »Das Leben ist schön«, wollte sie sagen, doch ihr Mund weigerte sich, die Lüge auszusprechen.
    Sie buchte telefonisch den Abendflug, packte ihre Tasche im Büro und hinterließ die Schlüssel bei dem jungen Mann, der ihr schon einmal geholfen hatte. Er versprach, sich um alles zu kümmern und Alicia im Krankenhaus zu besuchen. Anna fragte nach seinem Namen und vergaß ihn dann wieder auf dem Weg. Egal, wie immer er hieß, er war ein netter Mensch mit der seltenen Gabe, da zu sein, wenn man ihn brauchte. Ob er Martin Liebling in den letzten Tagen gesehen habe, fragte Anna ihn zum Abschied, und er sah sie an, als ob sie den Verstand verloren habe. Martin sei doch tot. In drei Sätzen klärte ihn Anna über den Zwillingsbruder und Alicias Beobachtung auf, und er schüttelte den Kopf. Doch er würde ein Auge auf den Doppelgänger haben, ganz offensichtlich fand er die Geschichte spannend, eine willkommene Abwechslung vom Addieren von Zahlen, die sein täglich Brot waren. Er war Steuerberater, obwohl er von einer Karriere als Arzt geträumt hatte.
    Der Taxifahrer fluchte in Suaheli, weil Brüssels Straßen ein Verkehrsinferno waren. Vielleicht, dachte Anna auf dem Rücksitz, verliebt sich der Lebensretter in Alicia, so etwas geschieht in Filmen häufig. Ein Altersunterschied von etwa fünfzehn Jahren, was macht das schon? Frauen lieben in Männern ihre Väter oder Söhne, und umgekehrt verhält es sich wohl ebenso, was der Grund dafür sein mochte, dass Erotik alle Spielregeln außer Kraft setzt.
    Anna vertrieb sich die Zeit des Wartens mit Waffeln sowie dem belanglosen Blickkontakt mit einem mittelalten Hundebesitzer, der zwei Tische weiter saß und vier Portionen Apfeltarte mit seinem Begleiter teilte. Die beiden sahen sich ähnlich in der Art von Boxern, und Anna konnte ja nicht die ganze Zeit auf die Haustür starren. Als sie gingen, weil es nicht im Buch des Schicksals stand, dass sie zusammenfinden sollten, und als nach zwei Stunden weder David noch Helena Liebling auftauchten, nahm Anna ein Taxi zum Flughafen. Natürlich hätte sie mit dem Bus fahren können, doch verschwendete Zeit und verschwendetes Geld schienen zueinander zu passen. Außerdem war sie zu müde, um sich nach Fahrplänen zu erkundigen.
    Hier sitzt sie nun und wartet schon wieder. Auf ein Flugzeug, das Verspätung hat, und auf den Augenblick in ferner Ewigkeit, in dem ihr Körper nicht mehr nach Nikotin schreit. Auf die Rückkehr in eine Wohnung, die im Regen steht. Ob Fjodor versichert ist? Es wäre ein Wunder, denkt Anna, und dass er zu feige war, es ihr selbst zu sagen. Sibylle in ihrem Glückstaumel hatte bereits ihre Putzfrau in die Wohnung geschickt. Anna glaubt, dass die Freundin von schlechtem Gewissen geplagt wird.

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