Anna Marx 9: Feuer bitte
nur noch einen wehenden Kittel. Durst ist ein überwältigendes Gefühl, ihre Zunge fühlt sich pelzig an, sie kann kaum sprechen. »Es ist im Moment etwas schwierig … ich rufe Sie gleich zurück.«
»Nein«, bellt Eva Mauz, »Sie bleiben jetzt dran, wenn ich Sie schon mal habe. Wo sind Sie überhaupt?«
»In Brüssel. In einem Krankenhaus.« Anna krächzt, sie wird verdursten, und warum schaltet sie nicht einfach aus?
»Sind Sie überfallen worden?« Eine Antwort scheint Eva Mauz nicht zu erwarten, denn sie spricht ohne Pause weiter. »Hören Sie, ich will die Sache beenden. Julia soll in Frieden ruhen … und das Geld, das sollten wir vergessen.«
Das klingt nicht gut, denkt Anna, die in die Wirklichkeit zurückkehrt. Wer immer das Handy erfunden hat, man sollte ihn erschlagen. Wie kann sie auf dem Boden eines Krankenhauses klare Gedanken fassen? »Hören Sie, ich rufe Sie zurück.«
»Nein, das werden Sie nicht tun.« Die Stimme, nach Gutsherrenart, klingt schrill in Annas Ohren. Zu viele Geräusche in den letzten Stunden, und ihr Albtraum war von besonderer Qualität. »Frau Mauz: Es geht mir nicht gut. Und ich bin in Brüssel, um Julias Mann zu finden. Ich bin ganz nahe dran, glauben Sie mir.«
»Papperlapapp. Das haben Sie bei Josef Gangwein auch gesagt. Und dann war’s plötzlich ein anderer. Ein Gespenst, nach dem Sie jagen. Sie haben mehr Phantasie als praktische Fähigkeiten, scheint mir …«
Anna hält das Handy vom Ohr entfernt. Die Stimme redet weiter. Schwestern und Pfleger, die vorbeigehen, sehen sie missbilligend an, unternehmen aber nichts. Sie sehen müde aus, denkt Anna. Wir sind alle müde, doch wir machen weiter. Augen zu und durch … und wenn es Treibsand ist und wir uns absolut nicht von der Stelle bewegen?
»Hören Sie mir überhaupt zu?!«
»Doch«, sagt Anna, »voller Konzentration. Aber Sie können mich nicht so einfach mittendrin feuern, weil Sie mal eben die Lust verloren haben. Ich habe Ihnen von Anfang an gesagt, dass die Suche länger dauern kann.«
»Darauf will ich aber nicht mehr warten. Ich werde heiraten und will diese Sache vom Tisch haben«, sagt Eva Mauz nach kurzer Stille und mit vollkommen anderer Stimme.
Anna tastet mit der Handtasche nach einer viereckigen Packung, die nicht aufzufinden ist. »Glückwunsch. Aber was hat das mit mir zu tun?«
»Josef hat mich überzeugt, dass Rachsucht nicht … poetisch ist.«
Josef? Poesie? Anna betrachtet ihren großen Zeh, der sehr beweglich ist. Er versteht nichts. »Welcher Josef … doch nicht etwa Gangwein, der Dichter?«
Stille. »Doch, ebender. Wir werden heiraten und einen kleinen Verlag aufmachen, um die Dichtkunst etwas … unter die Leute zu bringen. Ich habe Josef aufgesucht, verstehen Sie, weil ich mich überzeugen wollte, dass er nichts mit Julia zu tun hatte. Sie sind sich ja nie in irgendetwas ganz sicher. Deshalb wollte ich mir selbst ein Bild machen, und, na ja, wie es eben geschehen kann mit großen Gefühlen … ich bin sehr glücklich. Und ich will, dass Julia in Frieden ruht.«
Das tut sie doch sowieso, denkt Anna. Ein Selbstmordversuch und zwei Liebesgeschichten innerhalb weniger Stunden überfordern ihre Sinne. Die Idiotin sitzt am Boden und wackelt mit den Zehen. Es ist so beruhigend.
»Ja. Das ist schön. Aber wir müssen über Geld reden, Frau Mauz. Ich beschäftige mich seit Wochen mit nichts anderem.«
»Weil Sie nichts anderes zu tun haben. Ich habe übrigens Josef gegenüber mit offenen Karten gespielt. Er weiß, dass Sie Detektivin sind und in meinem Auftrag unterwegs waren. Er fand das sogar amüsant, und dass Sie eine reiche Erbin sind, hat er Ihnen ohnehin nie abgenommen.«
Dafür hat er jetzt eine. Anna unterdrückt diesen Satz. Sie sieht an der Anzeige, dass ihr Handy bald sterben wird. »Frau Mauz, ich bin spätestens übermorgen in Berlin, und dann müssen wir uns unterhalten. Von Auge zu Auge, denn ich hasse es zu telefonieren.«
»So viel Hass«, erwidert Eva Mauz. »Dabei kann uns nur die Liebe retten.«
Und mit dem letzten Satz erlischt das Licht. Das kleine Telefon ist leer gesprochen.
26. Kapitel
Alicia lebt, das ist die gute Nachricht. Die schlechte nimmt sich dagegen bescheiden aus, doch sie bewegt Anna dazu, Brüssel auf schnellstem Weg zu verlassen. Woran sie noch glaubte, als sie den Flug buchte, doch die Maschine hat Verspätung, und ihr Los sind die harten Plastikstühle und das Warten.
Fjodor meldete Sibylle einen Wasserschaden in seiner Wohnung und wollte
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