Anna Marx 9: Feuer bitte
Weil es ihr so gut geht und sie die Götter gnädig stimmen möchte. Sie fragt sich, ob sie eifersüchtig ist? Vielleicht, in jedem Fall wird alles anders werden, weil frisch verliebte Frauen als Freundinnen nicht mehr viel taugen.
Anna hat Martin nicht geliebt, das ist der Unterschied, den sie in Anspruch nimmt. Es war ein ungeklärtes Verhältnis, so wie die Umstände seines Todes es immer noch sind. Sie hat eine Menge Geld ausgegeben und nichts Konkretes gefunden. Ihr Verdacht, dass es Brudermord war, ist eben nur eine Annahme, und David bleibt ein Phantom. Sie würde ihn zu gerne kennen lernen. Warum fliegt sie überhaupt weg aus Brüssel? Wegen ein paar Wassertropfen? Sie könnte die Buchung stornieren, zurück ins Büro fahren oder vor dem Haus lauern …
»Anna Marx?«
Sie blickt auf und sieht blond. Die Autorin steht vor ihr und lächelt, als sei ihr eine freudige Überraschung gelungen. »So ein Zufall, dass wir uns hier treffen. Ich fliege nach Paris – und Sie?«
»Nach Berlin, aber mein Flieger hat Verspätung.«
Chris Feigen setzt sich auf den freien Platz neben Anna und legt die Füße auf ihren Rollkoffer. Sie sind von Schuhen umhüllt, die Anna gefallen: hochhackig, rot, beinahe untragbar, aber das ist ja der Witz daran. »Ich habe noch viel Zeit, weil ich immer viel zu früh am Flughafen bin. Übertrieben preußische Gesinnung, zumindest was Pünktlichkeit betrifft. Haben Sie Ihren Fall gelöst?«
»Nicht ganz«, erwidert Anna vorsichtig. »Mir fehlt die Kleinigkeit von Beweisen für gewagte Theorien.« Sie weiß nicht, ob sie die Begegnung freut. In jedem Fall entscheidet sie sich, nun doch zu fliegen. Sibylle erwähnte auch, dass die Kommissarin mit ihr reden wollte. Die Freundin habe ihr natürlich nicht gesagt, dass Anna in Brüssel sei, und erweckte den Eindruck, als habe sie der Folter widerstanden. Sibylle glaubt, dass sie nichts mehr falsch macht, bloß weil einer sie liebt. Anna graut vor dem Treffen mit Archie. Seine Eltern müssen ihn gehasst haben.
»Mir geht es ähnlich.« Die Autorin sieht Anna von der Seite an und beneidet sie um rote, dicke Haare, weil sie nie eine Blondine sein wollte. Es hat sich so ergeben, woran sie Männern die Schuld gibt. »Vieles, was ich weiß, kann ich nicht schreiben, weil die Leute zwar inoffiziell viel erzählen, sich aber feige davonmachen, wenn’s zum Offenbarungseid kommt. Die zwei, drei Quertreiber in Brüssel haben ihre Geschichten längst an Zeitungen verkauft oder in schlechten Büchern verewigt. Gegen diesen Österreicher ermittelt die Betrugsbehörde, den kann man vergessen. Und Bruno ist tot. Also brauche ich wieder den wirklich guten Informanten. Die Idioten oder Helden sterben aus.«
Anna lächelt mitleidig und bietet ihr ein Bonbon an, weil man ja nicht rauchen darf, wo sie sitzen. Die Autorin bedankt sich übertrieben herzlich. Sie will etwas von mir, denkt Anna, weil sich unsere Recherchen überschneiden. Sie ist der Typ, der Leute nach dem Prinzip der Nützlichkeit behandelt. Martin hat sie auch ausgebeutet, und den armen Bruno sowieso. Drehen wir den Spieß doch einmal um: »Was haben Sie über John Schultz herausgefunden?«
Sie sieht Anna an, als ob sie genau wüsste, welche Überlegungen dieser Frage vorausgingen. Doch die Marx ist eine Art Frau, die ihr in guten Tagen ans Herz wächst. Also antwortet sie auf Annas Frage: »Er ist schwul und bevorzugt blonde, junge Männer mit Tätowierungen. Arierkomplex mit masochistischem Einschlag. Die Wohnung, die Schultz gemietet hat, benutzt er nur zu Treffen mit Leuten, mit denen er nicht gesehen werden will. Sein geheimes Leben, das andere führt er ganz zwanglos im ›Métropole‹. Das Hotel sieht sein Sexualleben mit gewisser Abneigung, doch er ist ein viel zu guter Gast, als dass sie ihn rauswerfen würden.«
Sie hat das Zimmermädchen auch gefunden, denkt Anna, und vermutlich üppiger geschmiert, denn sie weiß mehr. Vielleicht ist sie auch die bessere Spürnase, verdient ja wohl auch mehr mit ihren Büchern als Anna, die Schmalspurexistenz im Schattengewerbe. »Iranisches Zimmermädchen?«
Sie stutzt und lächelt dann, ein wenig gequält. »Wir sollten uns zusammentun – wer weiß, vielleicht wären wir ein erfolgreiches Team.«
Du hättest das Sagen, und ich wäre dein Depp. Anna lächelt zurück, mit gebleckten Zähnen: »Ich bin mehr der Typ des einsamen Jägers.« Der durch den Wald hetzt und das Wild verscheucht. Vielleicht sollte sie doch für jemanden arbeiten, der
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