Anna Strong Chronicles 01 - Verführung der Nacht
Seite daran dreht. Dann höre ich ein sachtes Klopfen. »Hier ist das Hausmädchen, Miss. Soll ich später wiederkommen?«
Ich seufze genervt und gehe zur Tür, um sie einzulassen.
»Entschuldigung«, sage ich und öffne weit die Tür. Sie ist anders, als ich erwartet hatte. Sie ist jung, etwa Mitte zwanzig, und auf exotische Weise schön. Das glänzende schwarze Haar fällt glatt auf ihre Schultern herab und umrahmt ein schmales Gesicht mit riesigen, dunklen Augen und vollen Lippen. Eine Mischung aus hispanischen und asiatischen Vorfahren vielleicht, oder osteuropäischer Herkunft. Sie trägt Jeans und ein schlabberiges T-Shirt mit einer weißen Leinenschürze darüber. Offenbar ist es ihr peinlich, dass sie mich gestört hat.
Ich strecke die Hand aus. »Mein Name ist Anna Strong. Ich bin eine Freundin von Dr. Avery.« Ich lächle sie an. »Aber das wussten Sie schon, nicht wahr?«
Schüchtern erwidert sie den Händedruck. »Dr. Avery hat mir gesagt, dass er Besuch hat. Und dass ich Sie nicht stören soll.«
»Das haben Sie nicht. Wirklich nicht. Dann lasse ich Sie mal in Ruhe arbeiten, Miss «
»Ich heiße Dena. Und ich kann später wiederkommen.« Sie ist so ernst es wirkt beinahe tadelnd. Ganz anders als die meisten Zwanzigjährigen. Sie scheint sich beinahe vor mir zu fürchten. Warum? Ich winke ihr zu, als ich an ihr vorbei in den Flur gehe.
»Nein. Ich will Sie nicht von der Arbeit abhalten. Ich bin dann unten, ja?« Sie nickt und wendet sich ab, und da bemerke ich zwei winzige Punkte an ihrem Hals. Sie sind nicht frisch, aber wer auch immer sie verursacht haben mag, hat die Fähigkeit der Vampire, sie rasch verheilen zu lassen, nicht genutzt. Ich berühre sie an der Schulter, und sie zuckt zusammen.
»Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Aber ich bin neugierig. Wie lange arbeiten Sie schon für Dr. Avery?«
Dena zuckt mit den Schultern, und als sei ihr bewusst, was ich eben entdeckt habe, zieht sie den Kragen ihres T-Shirts ein wenig höher. »Nicht lange. Vor ein paar Monaten hatte ich einen Unfall. Ich kam als Patientin zu Dr. Avery, und er war so freundlich, mir diese Arbeit anzubieten, als ich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Ich hatte meinen Job verloren. Er lässt mich vormittags hier arbeiten, damit ich nachmittags die Schule besuchen kann. Er hat mir sehr geholfen.«
Aber ihr Tonfall klingt wenig überzeugend. Und während sie spricht, weicht sie vor mir zurück und knetet ihre Schürze zwischen den Fingern. Sie ist kein Vampir, da bin ich sicher, denn ich kann keinen Zugang zu ihrem Geist finden. Aber sie fürchtet sich vor mir, weil sie erkannt hat, dass ich einer bin.
Ich lächle sie sanftmütig an und versuche, ihr die Angst zu nehmen. »Ich lasse Sie jetzt in Ruhe, Dena.« Sie lässt mich keinen Moment aus den Augen. Ich spüre ihren Blick im Rücken, als ich in mein Gästezimmer zurückkehre.
Zum ersten Mal erkenne ich, dass Avery auch eine dunkle Seite hat. Trotz seines Geredes darüber, dass er mit den Menschen zusammenarbeiten will, statt sie als Beute zu betrachten, hat er dieses Mädchen benutzt. Das weiß ich so sicher, wie ich meine neue Kraft erkenne, wie ich weiß, dass ich nicht mehr menschlich bin. Und genauso sicher spürt sie diesen Unterschied. Vielleicht hat sie sich ihm anfangs sogar angeboten und fand es aufregend oder schmeichelhaft, dass der gutaussehende Arzt Interesse an ihr zeigte. Aber jetzt gefällt es ihr nicht mehr. Trinkt er immer noch von ihr? War es ihr Blut, das er mir an dem Morgen anbot, als ich aus Beso de la Muerte zurückkam?
Voll zorniger Ungeduld warte ich ab, bis Dena in Averys Zimmer fertig ist.
Ich bin entschlossener denn je, herauszufinden, was er dort versteckt. Wenn wir zusammen sind, ist es wirklich so, als stünde ich in seinem Bann. Er lässt mich alles andere vergessen bis auf die Berührung seiner Hände, den Geschmack seines Blutes. Aber ich weiß sehr wenig über ihn nur das, was er mich wissen lassen möchte. Mein gesamtes Wissen darüber, was es bedeutet, ein Vampir zu sein, entstammt seinen Ansichten, seinen Vorstellungen, und ich habe mich von ihm beeinflussen lassen. Es wird höchste Zeit, dass ich mehr erfahre. Vielleicht sind einige dieser Geheimnisse hier in diesem Haus versteckt. Dena schleicht auf Zehenspitzen an meinem Zimmer vorbei; sie will schleunigst weg von hier und hat Angst, ich könnte sie aufhalten. Das höre ich an ihren zögernden Schritten, und ich sehe es in ihrem angespannten Gesicht, als
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