Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen

Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen

Titel: Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanne C. Stein
Vom Netzwerk:
bin ich mir sicher, dass er Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, um seinem Freund die letzte Ehre erweisen zu können. Und dennoch erspüre ich keine weiteren Vampire – nicht einmal Williams. Verbirgt er sich so gut vor mir?
    Ich arbeite mich durch die Menge, schiebe mich aber nicht bis ganz nach vorn. Nach dem, was gestern passiert ist, erscheint es mir klüger, Ausschau nach ihm zu halten, ohne selbst aufzufallen. Ich rechne zwar nicht damit, dass er sich hier an mir rächen würde, aber er könnte jemand anderen damit beauftragt haben. Das wäre ein möglicher Grund dafür, dass er seine Gedanken gegen mich abschirmt.
    Als ich eine Stelle erreiche, von der aus ich die sitzenden Trauergäste sehen kann, erlebe ich einen kleinen Schock. Brooke und ihre Schwester sitzen zusammen unter einem Sonnensegel. Allein. Williams ist nicht bei ihnen. Die beiden Schwestern lehnen aneinander, die Hände verschlungen. Sie tragen schwarze Hosen und Pullover. Brooke lauscht dem Polizeipfarrer, der aus einer Bibel vorliest. Sie hat das erschöpfte Gesicht und die glasigen Augen eines Menschen unter Schock.
    Ich erkenne diesen Ausdruck. Er ist mit ein Grund dafür, dass ich Beerdigungen so verabscheue. Egal, wie viel Zeit seitdem vergangen ist, ich werde davon sofort zu der einen Beerdigung zurückversetzt, die ich nie werde vergessen können. Der scharfe Schmerz darüber, einen Bruder verloren zu haben, hat mit der Zeit nicht nachgelassen. Er nagt immer noch an mir.
    Rechts von Brooke sitzt eine ältere Frau. Sie hat einen Arm über die Lehne von Brookes Stuhl gelegt, sitzt sehr aufrecht und starrt geradeaus. Falls sie dem Polizeipfarrer überhaupt zuhört, merkt man es ihr nicht an. Sie wirkt eher wütend als traurig und unruhig. Alle paar Minuten schweift ihr Blick suchend über die Menge, bleibt hier und da an einem Gesicht hängen und schweift weiter. Wen sie wohl sucht?
    Sie findet mich. Ihre Reaktion, als sie mich entdeckt, ist eindeutig, aber nicht offensichtlich. Sie springt nicht auf, deutet mit dem Finger auf mich oder schreit mich an. Sie wird nur ganz still und starrt mich an.
    Sobald sich unsere Blicke treffen, weiß ich auch, warum. Ich erkenne sie wieder. Ich habe sie eines Abends vor neun Monaten kennengelernt, als ich zu einer Party bei Avery eingeladen war. Wir sind einander nie richtig vorgestellt worden, aber ich habe sie in Averys Wohnzimmer gesehen. Sie war mit ihrem Mann dort.
    Das ist Warren Williams’ sterbliche Ehefrau.
    Während der restlichen Stunde des Gottesdienstes wendet sie den Blick nicht mehr von mir ab. Als sich die Zeremonie dem Ende zuneigt, feuert die Ehrengarde ihre einundzwanzig Salutschüsse ab, und die Trauernden ziehen am Sarg vorüber, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen.
    Brooke und ihre Schwester sind unter den Letzten, die das Grab verlassen. Mrs. Williams wartet ein wenig abseits, ich ebenfalls. Die Schwestern blicken in unsere Richtung, nähern sich uns aber nicht. Als sie einen wartenden Wagen erreicht haben, wendet sie sich mir zu. »Ich weiß, was Sie getan haben.«
    Mrs. Williams ist eine attraktive Frau in den Vierzigern, kultiviert, perfekt frisiert und für die Beerdigung eines Freundes genau passend gekleidet. Ihr maßgeschneidertes Kostüm ist dunkelgrau, vermutlich von Versace, die Schuhe sind schick, aber mit vernünftigen, niedrigen Absätzen wegen des Rasens, und die Handtasche aus dunklem Leder. Sie trägt einen schlichten Diamantring am linken Ringfinger und Diamantstecker in den Ohren.
    Was nicht zu dem perfekt gestylten Äußeren passt, ist ihr Gesichtsausdruck. Zorn flammt in ihren Augen. Da ist ein dunkler Schatten auf ihrem Gesicht, und sie beißt sichtlich die Zähne zusammen. Sie ist ein Mensch, doch sie strahlt so viel animalischen Hass aus, dass ich einen Schritt zurückweiche. Sie rückt nach. »Warren ist zu Hause. Beinahe hätte er es nicht geschafft. Ich musste ihm den Träger aus der Brust ziehen. Er hätte in dieser Fabrikhalle sterben können, und Sie haben ihn dort zurückgelassen. Das Leben dieser Hexe war Ihnen kostbarer als das eines Mannes von Ihrer Art.«
    Es hat keinen Zweck, sie daran zu erinnern, dass ihr Mann ein Vampir ist und schon nicht daran gestorben wäre. Oder sie zu fragen, ob sie weiß, was er in dieser Fabrikhalle gemacht hat. Sie ist vernünftigen Argumenten nicht mehr zugänglich. Sie schaut zu der Limousine hinüber und wendet das Gesicht von mir ab. »Eltern sollten niemals den Tod eines Kindes ertragen

Weitere Kostenlose Bücher