Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
aus.
»Ich bin Anna.«
»Ich erinnere mich an dich.« Er gibt mir die Hand und bedeutet mir, ihm zu folgen. »Culebra ist hier hinten.«
Ich folge ihm tiefer in die Höhle hinein. Dabei erspüre ich keine weiteren Anwesenden. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise gewährt Culebra diversen menschlichen und übernatürlichen Verbrechern Unterschlupf. »Sind wir allein?«
»Sandra hat alle weggeschickt. Sie meint, das wäre sicherer.« Er spricht über die Schulter, denn wir sind immer noch unterwegs ins Innere des Höhlensystems.
Endlich bleibt er stehen und weist auf einen Höhleneingang. Der Raum sieht aus wie ein kleines Feldlazarett mit EdelstahlRollbahren und Infusionsständern. An der hinteren Wand stehen ein Schrank, ein Kühlschrank und ein improvisiertes Labor mit Zentrifuge und ein paar Messbechern. Keine Monitore, kein Hightech.
Culebra liegt auf einer der Bahren. Er ist blass und atmet nur sehr schwach. Als ich versuche, in seinen Kopf einzudringen, um abzulesen, was ihm passiert ist, empfange ich nichts als schwache Statik, wie ein Radiosignal von einem zu weit entfernt gelegenen Sender. Aber es kommt eine stärkere Vibration durch, ein lauteres Summen, das von seinem Körper ausstrahlt und sich in meiner eigenen Brust sammelt.
Mein Herz pocht beunruhigend arrhythmisch gegen die Rippen. Unwillkürlich presse ich die Hand auf mein Brustbein, als könnte ich das Pochen damit besänftigen, aber ich spüre keinen Schmerz. »Du fühlst das auch, oder?«
Die Stimme dicht hinter mir lässt mich zusammenzucken. Sandra ist zu uns getreten. »Du fühlst es?«, frage ich sie.
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Aber Culebra hat über einen Druck in der Brust geklagt, ehe er zusammengebrochen ist.«
Ich blicke zu dem Arzt auf. »Hatte er einen Herzinfarkt?« Bekomme ich auch gleich einen?
Er zuckt mit den Schultern. »Das glaube ich nicht. Seine Blutwerte weisen nicht auf irgendwelche Herzprobleme hin. Offen gestanden deutet keine einzige meiner Untersuchungen darauf hin, dass überhaupt irgendetwas nicht stimmt.«
Ich blicke zu der Granitplatte hinüber, die als Labortisch dient. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwelche Tests, die hier vorgenommen werden, umfangreich und gründlich genug sein könnten, um sonderlich viel auszuschließen oder zu erkennen. »Sollten wir ihn vielleicht in ein Krankenhaus bringen?«
Sandra antwortet schneller als der Arzt. »Kein Krankenhaus. Das hat Culebra klar und deutlich verlangt. Ehe er das Bewusstsein verlor, hat er gesagt, das müssten wir dir unbedingt klarmachen, Anna.«
Ich drehe mich wieder zu Culebra um, der blass und still auf der Rollbahre liegt. »Er hat gesagt, er wolle verreisen, mit dem Flugzeug. Wie ist er wieder hierhergekommen?«
Sandra legt die Hand auf den Rand der Bahre. »Ich habe ihn heute Morgen gefunden, als ich die Bar aufmachen wollte. Er lag draußen auf der Straße. Ich weiß nicht, wie er dahin gekommen ist. Er konnte es mir auch nicht sagen.«
»Hat er sonst noch etwas gesagt?«
»Nur einen Namen«, antwortet Sandra. »Belinda Burke.« Nur einen Namen. Es dreht mir den Magen um.
Er hat nicht gelogen, was seine Reise anging, nur darüber, was er vorhatte. Er wollte sich offenbar Belinda Burke vorknöpfen, eine mächtige Hexe, die einen unschuldigen Menschen ermordet hat, um sich an uns zu rächen, weil wir eines ihrer Rituale unterbrochen hatten. Er muss sie aufgespürt haben. Aber wenn er sie gefunden hat, warum hat er mir nicht Bescheid gesagt? Wir waren uns einig, dass wir sie uns gemeinsam vornehmen wollten.
Ich habe meine eigenen Gründe, mich an ihr rächen zu wollen. Das wusste Culebra.
Dass er meine Hilfe nicht wollte, ist schon schwer genug zu schlucken, aber noch schlimmer ist die Erkenntnis, dass Culebra, wenn er sie denn gefunden hat, wahrscheinlich gar nicht an einer normalen Erkrankung leidet. An seinem Zustand ist ein Zauber schuld. Burke praktiziert schwarze Magie. Dagegen wird die moderne Medizin nichts nützen.
Der Arzt hat Culebras Herz mit dem Stethoskop abgehört. Er runzelt die Stirn und schüttelt den Kopf. Als er meinen Blick bemerkt, sagt er: »Sein Herz schlägt sehr unregelmäßig. Ich weiß nicht, wie lange er noch durchhalten wird.«
Seine Worte versetzen mich endlich in Bewegung. Ich greife nach meinem Handy. »Ich weiß, wer uns helfen könnte.«
Daniel Frey nimmt beim zweiten Klingeln ab. Er ist Lehrer, und als ich ihm den Grund für meinen Anruf erkläre, tadelt er mich nicht, weil ich ihn
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