Anna Strong Chronicles 05 - Blutrotes Verlangen
in der Schule angerufen oder beim Unterricht gestört habe. Er will nur mit dem Arzt reden. Ich reiche das Telefon weiter und höre zu, wie der Arzt Culebras Symptome beschreibt. Als er fertig ist, gibt er mir das Handy zurück.
Frey sagt: »Ich muss eine Vertretung organisieren. Dann fahre ich mit dem Taxi nach Hause und packe zusammen, was ich brauche. Kannst du mich in anderthalb Stunden abholen?« Frey kann nicht Auto fahren.
»Ich komme.«
Ich habe viel gelernt, seit ich zum Vampir geworden bin. Eine der überraschendsten Entdeckungen war, wie eng verwoben und hilfsbereit die Gemeinschaft der Übernatürlichen ist, wenn es darum geht, einem der Ihren zu helfen. Es gibt Ausnahmen, wie etwa Williams und seine Feindseligkeit mir gegenüber, und doch ist selbst er nach Beso de la Muerte gekommen, um mich vor den Vampirmördern zu warnen. Inzwischen bereut er das sicherlich.
Als ich vor dem Tor zu Freys Wohnanlage halte, wundert es mich daher nicht, dass Daniel Frey bereits davorsteht und auf mich wartet. Er trägt Jeans und T-Shirt. Er ist Mitte vierzig, hat graumeliertes Haar, ein nettes Lächeln und eine schlanke Figur.
In den Händen hält er zwei große Tragetaschen, die er vorsichtig auf den Rücksitz legt, ehe er neben mir einsteigt. »Lass hören«, sagt er ohne Vorrede. »Hat sich sein Zustand verändert?« Ich rase los und antworte ihm unterwegs. Ich erzähle ihm auch von meiner Vermutung, wer und was dafür verantwortlich sein könnte.
Frey ist Gestaltwandler wie Culebra, und er war bei mir, als wir diese Auseinandersetzung mit Burke hatten. Sie hat ihn angeschossen und beinahe getötet. Er besitzt eine umfangreiche Bibliothek über alles Übernatürliche. Ich habe ihn angerufen, weil er, wenn er selbst nicht wissen sollte, wie man Culebra helfen kann, ganz sicher weiß, in welchem Buch er nachschlagen muss.
Er hört mir aufmerksam zu, dreht sich dann zum Rücksitz um und holt tatsächlich ein Buch aus einer der Taschen. »Ich kann den Zauber nicht rückgängig machen«, sagt er und blättert darin herum. »Aber ich kann die Symptome aufhalten. Zumindest eine Weile.«
»Wie können wir ihn brechen?«
» Wir gar nicht. Das kann nur eine andere Hexe.« Scheiße. Wo soll ich eine andere Hexe auftreiben?
Frey blättert immer noch in seinem Buch. Im Gegensatz zu Culebra kann ich seine Gedanken nicht lesen. Ich habe unsere übersinnliche Verbindung zerstört, indem ich ihn einmal gebissen habe. Dämlicher Fehler mit weitreichenden Konsequenzen.
Ich lasse ihm ein paar Minuten Zeit, ehe ich frage: »Was meinst du?«
Er stößt den Atem aus. »Ich glaube, wir müssen uns eine Hexe suchen.«
Culebra hat mir nicht gesagt, wo er hinwollte. Bei unserem Treffen gestern hatte er Unterlagen dabei. Sind sie jetzt in der Bar? Hat er Sandra etwas gesagt? Ich erinnere mich, eine Landkarte gesehen zu haben, aber in dem Moment war ich zu wütend, um darauf zu achten, was sie zeigte. Könnte er sein Ziel darauf irgendwie markiert haben? Kann ich seine Spur vielleicht zu Burke zurückverfolgen?
Ich werde nachher Sandra fragen, ob Culebra irgendetwas dabeihatte, als er in Beso de la Muerte aufgetaucht ist. Wenn nicht… »Wie machen wir das?«, frage ich.
»Wo finde ich jetzt eine Hexe?«
Frey wirft mir einen Seitenblick zu und antwortet: »Geh zu Williams.«
Ich ziehe unwillkürlich die Schultern an. »Warum?«
»Weil er Hexen beschäftigt. Das solltest du doch wissen.« Noch mal Scheiße. Ich erzähle Frey nichts von meiner letzten Begegnung mit Williams. Außerdem, was spielt das schon für eine Rolle? Jetzt ist mir nur noch wichtig, Culebra zu retten. Wenn ich zu Williams gehen muss, um Culebra zu helfen, dann gehe ich eben zu Williams.
Sobald wir wieder bei Culebra sind, macht Frey sich an die Arbeit. Er hat Tränke und Kerzen und irgendeinen Kristall mitgebracht, den er auf dem Boden zertrümmert, um die Bruchstücke um das Krankenbett herum zu verteilen. Während er seine Sachen aufbaut, wende ich mich an Sandra. »Hatte Culebra irgendetwas bei sich, als er gestern Nacht zurückgekommen ist? Unterlagen? Eine Karte?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Er hatte nichts dabei.«
Freys Stimme holt uns beide an Culebras Bett zurück. Er murmelt eine Art Anrufung in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Während er spricht, lässt der Druck in meiner Brust nach. Ein paar Minuten später bedeutet er dem Arzt, Culebras Herz abzuhören. Der Arzt lauscht und nickt dann. »Viel besser. Wie lange hält das?«
Frey
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